«Les Digitales» gehört wohl zu den coolsten und gemütlichsten Festivals für elektronische Musik der Schweiz. Die 16. Freiburger Ausgabe fand in diesem Jahr zum ersten Mal über zwei Tage statt. Auf dem Liegestuhl im schönen Ambiente des Botanischen Gartens entspannt Musik hören und sich sonnen? Klingt perfekt! Wenn nur nicht dieses blöde Coronavirus wäre …
Es ist Sonntag, der 13. September kurz nach vierzehn Uhr. Im Eingangsbereich des Botanischen Gartens tummeln sich ein paar Leute, einige scannen einen QR-Code ein, der zu einem online Registrierungsformular führen wird, andere wählen die klassische Variante und tragen sich mit Vor- und Nachnamen, den üblichen Kontaktdaten und der Ankunftszeit in eine Liste ein. Die meisten wirken routiniert, Einzelne sind verwirrt. «Ein Bier gefällig?», fragt ein junger Mann hinter einem Stand und zeigt auf einen Depot-Becher. Es sei noch viel zu früh, antwortet jemand augenzwinkernd. «Wir haben auch hausgemachten Eistee!» Die Stimmung ist gelassen, die Sonne scheint, fast könnte man an diesem warmen Sommertag das Coronavirus vergessen. «Das Tragen von Masken wird empfohlen, ist aber nicht obligatorisch», erklärt eine junge Mitveranstalterin bei der Eintrittskontrolle. Die Situation sei allgemein entspannt. Die Pandemie mache die Abläufe zwar etwas komplizierter, aber es sei alles noch tragbar.
Meeting Point der Generationen
Das Festival ist bereits um diese Uhrzeit gut besucht, Plätze bzw. bunt gestreifte Liegestühle hat es für alle genug. Bezahlt wird nur, was vom Ess- und Getränkestand konsumiert wird, eine Eintrittsgebühr gibt es nicht. Wer keine Lust auf Burger und Pommes hat, zaubert jetzt Chips-Tüten und Lunchboxen aus dem Rucksack. Kinder wippen auf ihren Stühlen zum Bass, Jugendliche schlafen ihren Kater aus, ein junges Paar ist für das Event sogar aus Genf angereist. «Ich liebe elektronische Musik und ich liebe die Natur. Hier lässt sich beides gut kombinieren», stellt Petra (48) fest. In der Tat. Ein laues Lüftchen weht, die Blätter scheinen sich im Rhythmus der Musik zu bewegen. Musik, die Generationen verbindet.
Festival Interruptus
Numeral steht am Mischpult. Wer jetzt die Augen schliesst, sieht Wälder, gefährliche und zugleich anziehende Unterwasserwelten, herunterfallende Stalaktiten … Dann kommt Verveine. Sie ist anders … klassischer. Ihre Vocals verteilen sich in der Umgebung, animieren zum Träumen futuristischer Landschaften. Plötzlich der Unterbruch. Ein Mann greift zum Mikrofon, es folgt eine Ansage. Das Publikum wird gebeten, im Rahmen der COVID-19 Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen aufzustehen und das Gelände für ca. zehn bis fünfzehn Minuten zu verlassen: «Nehmen Sie Ihre Getränke ruhig mit, Sie werden gleich wieder hereingelassen». Niemand stellt die Regeln in Frage oder widersetzt sich und das ist auch gut so. Das Areal wird über einen Seitenausgang verlassen. Menschen streichen ihren Namen von der Liste, andere gehen daran vorbei, es herrscht plötzlich allgemeine Verwirrung. Gehen die etwa schon nach Hause?
Völkerwanderung
Nach einem kurzen Spaziergang mit Plastikbecher in der Hand erklingen aus der Ferne wieder die ersten Beats. «Sie dürfen hier nicht mehr rein», heisst es dann am selben Ausgangstor wie fünfzehn Minuten davor. «Machen Sie die Runde um die ganzen Gebäude und kommen Sie über den Haupteingang wieder herein.» Da angekommen, die grosse Überraschung: eine meterlange Schlange hat sich gebildet. Es ist nicht ganz klar, wer ansteht. Neuankömmlinge, die sich noch nicht registriert haben? Besucher_innen, die eine halbe Stunde zuvor noch in ihren Liegestühlen chillten? «Bitte stehen Sie ganz hinten wieder an!», heisst es auf Nachfrage. Muss man sich neu registrieren? Ist der QR-Code auf dem Smartphone nicht mehr gültig? Braucht es auf einmal eine Reservierung? Niemand weiss es so genau. Gewiss ist: Wir befinden uns alle in einer nicht ganz so einfachen Experimentierphase. Die Veranstalter_innen geben sich alle Mühe, das Festival möglichst reibungslos durchzuführen. Dort, wo es nicht klappt, ist ein wenig Geduld gefragt – von allen Seiten.
Zurück in die Realität
Die verträumte Stimmung ist weg. Je später der Nachmittag, desto mehr Menschen wollen Zutritt haben. Die Stimmen vermehren sich, es wird unübersichtlich. Später wird klar: Bei einer Beschränkung auf 300 Personen pro Zeitfenster konnten viele Menschen das Festival mit insgesamt rund 1’000 Besuchern_innen am Ende nicht besuchen. Ein Grund, sich zu ärgern? Nein! Dass ein solches Festival überhaupt stattfinden kann, sollte uns freuen. Bei den aktuell steigenden Fallzahlen lauert ein zweiter Lockdown bereits am Horizont. Es lohnt sich vielleicht, die lieb gewonnen Künstler_innen nochmals zu googlen, ihre Musik zu kaufen und herunterzuladen für später, wenn wir wieder die eigenen vier Wände anstarren und uns bessere Zeiten erträumen – denn Party is what you make of it.
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