Dossier

Wie Deutschland zu seinem Namen kam

Hinter jedem Ländernamen steckt eine lange Geschichte. Sowohl in sprachhistorischer als auch in historiographischer Hinsicht ist die Geschichte des Ländernamens «Deutschland» besonders komplex und bemerkenswert.

Der Name «Deutschland» ist ein Kompositum, dessen erste Hälfte ursprünglich eine Sprache bezeichnete. Interessanterweise unterscheidet sich der Sprachenname «Deutsch» etymologisch von allen übrigen europäischen Sprachbezeichnungen. Denn diese werden entweder von Stammesnamen abgeleitet («Englisch» zum Bespiel von Altenglisch «engle»/«angle», also den Angeln) oder beziehen sich auf geografische oder topografische Gegebenheiten (z.B. «Niederländisch» von den Niederlanden). Die Sprachbezeichnung «Deutsch» dagegen geht auf ein indogermanisches Nomen zurück, das keine ethnische Referenz besass, sondern die allgemeine Bedeutung hatte: «Volk; Gruppe von Menschen, die sich zusammengehörig fühlt; öffentlich (oft rechtlich) handelnde Menschengruppe oder Personenverband».

Die Wurzeln dieses Nomens lassen sich nur noch hypothetisch rekonstruieren, da sich schriftliche Belege von den Anfängen des Germanischen nicht erhalten haben. Aus der vermuteten indogermanischen Wurzel *«teuta‒»¹ (gesprochen: [tēuta]),  mit der Bedeutung «Volk», «Volksmenge», wurde zum einen der schon in der Antike überlieferte Stammesname «teutones» abgeleitet. Zum anderen ist das westgermanische Wort *«þeod» (mit englischem «th» gesprochen: [´θēod]) daraus entstanden.  Aus dem althochdeutschen Wort «diot» entwickelte sich ab dem 12. Jh. schliesslich das mittelhochdeutsche «diet» (der Doppelvokal wird ausgesprochen wie im heutigen Schweizerdeutsch: [diəet]). Damit konnte das ganze Spektrum von einer «kleinen Gruppe von Personen» bis hin zur «Gesamtheit der Bewohner eines Herrschaftsgebiets» bezeichnet werden. Angesichts rückprojizierender Ideologien gilt es zu betonen, dass mit diesem Wort keineswegs Konzepte wie «dem Volke eigen», «national» oder gar «völkisch» konnotiert wurden. Ein solches Verständnis wurde erst seit dem 18. Jh. durch den damals neu geprägten Volks- und Volkstumsbegriff möglich.

Im 16. Jh. starb das mittelhochdeutsche Wort «diet» aus. Erhalten hat es sich einzig in Eigennamen, wie beispielsweise in «Dietrich» («der über das Volk Mächtige») oder «Dietmar» («der bei den Leuten Berühmte»). Äquivalente finden sich aber noch heute in der indogermanischen Sprachenfamilie: Im modernen Farsi etwa, das vor allem im Iran gesprochen wird, steht «توده» [tōda] für «Masse», «Allgemeinheit», «Leute», und das norwegische Wort «tjod» [çuːd] besitzt die Bedeutung «Nation», «Volk».

Nun wieder zurück ins Mittelalter: Ebenfalls auf die indogermanische Wortwurzel geht das mittellateinische «theodiscus» zurück, das «volkssprachig» bedeutete und in Abgrenzung zum gelehrten Latein verwendet wurde: Der erste Beleg für «theodiscus» stammt aus einem Brief von Bischof Georg von Ostia an Papst Hadrian I. aus dem Jahr 786. In dem Schreiben wird von den Beschlüssen der Synode von Fingall berichtet, die «tam latine quam theodisce», also «sowohl auf Lateinisch als auch in der Volkssprache» verlesen wurden. Mit «theodisce» ist hier – wohlgemerkt – das (Alt-)Englische gemeint. Ähnlich in den «Annales regnis Francorum», in denen für das Jahr 788 berichtet wird, dass der Herzog von Bayern, Tassilo der III., von den «Franci, et Baioarii, Langobardi et Saxones» wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt wurde: «quod theo­disca lingua ‹harisliz› dicitur» («was in der Volkssprache ‹harisliz› – wörtlich: ‹Heer-Zerreissen› – genannt wird»). Bedeutet «theodiscus» hier schlicht «Nicht-Lateinisch», so konnte das Wort im mehrsprachigen Fränkischen Reich aber auch zur Absetzung vom Französischen verwendet werden: Auf der Synode von Tours im Jahr 813 wurden die Priester verpflichtet, ihre Predigt jeweils «in rusticam Romanam linguam aut theodiscam» zu halten («in der Sprache der romanisch- oder jener der ‹theodisk›-sprachigen Landbewohner»). Alle frühen Belege zeigen, dass «theodiscus» als Überbegriff für die Sprachen verschiedener germanischer Stämme verwendet wurde: der Franken, Alamannen, Thüringer, Bayern, Sachsen, aber auch der Friesen, Angelsachsen, Langobarden, Goten und Normannen. Parallel dazu wurden die jeweiligen Einzelsprachen der Stämme durchaus individuell bezeichnet (z.B. «lingua saxonica» für Sächsisch). Das Nebeneinander des Überbegriffs «theodiscus» und der Vielzahl spezifischer Sprachbezeichnungen für einzelne Stämme erklärt schliesslich, warum es heute für «Deutschland» aus der Aussenperspektive ganz unterschiedliche Namen gibt: «l’Allemagne» leitet sich von den im Südwesten ansässigen Alamannen ab; «Saksa», die finnische und estnische Bezeichnung, überträgt den Namen der Sachsen pars pro toto auf alle «Deutschen»; «Germany», der englische Ländername, der im Zeitalter des Humanismus erst ab dem frühen 16. Jh. eingeführt wurde, grenzte die ehemalige angelsächsische Bezeichnung für Deutschland, «Dutch», auf die Niederlande ein.

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Warum «Land»?

Erst im Lauf des 11. Jh. wird der übergreifende Sprachbegriff auf die Gruppe der im nördlichen Teil des Heiligen Römischen Reiches zusammenwachsenden Volksstämme verengt, wodurch er sich von einer Sprach- zu einer Volksbezeichnung wandelte. Die als Sortenplural verwendete Zusammenfügung «diutsche lant» (gesprochen wie im heutigen Schweizerdeutsch mit langem «ü»: [dy:tʃə lant], «deutsche Länder») begegnet uns erstmals um ca. 1100 im «Annolied» und wird von da an in zahlreichen mittelhochdeutschen Texten verwendet. Beachtenswert ist, dass die geographischen Grenzen der Volksbezeichnung «diutisk» (gesprochen /dütisch/: [dy:tɪʃ]) auch die linksrheinischen Gebiete des Regnum mit einschlossen, welche nach traditioneller karolingischer Terminologie als «Gallia» der rechtsrheinischen «Germania» gegenüberstanden. Dies illustriert eine Stelle im Roman «Willehalm» von Wolfram von Eschenbach. Sie erzählt von einem Fest in Laon mit zahlreichen Gästen, zu dem auch «von diutschen landen» Besucher anreisten, nämlich aus «Flaeminge und Brabande / und der herzoge von Lahrein» («aus Flamen, Brabant und der Herzog von Lothringen»). Ausnahmslos bis in die Frühe Neuzeit hinein ist die Zusammenfügung «diutsche lant» als Pluralbegriff zu verstehen. Erst die verfassungsgeschichtlich bedingten Bedeutungsveränderungen, die das Wort «lant» im Spätmittelalter erfährt, bahnen den Weg für die Singularform «Teutschland».  Sie beginnt sich am Ende des Mittelalters durchzusetzen, wird aber erst im 16. Jh. zur Norm.

Warum nicht (mehr) «Teutschland»?

Im Zeitalter des Humanismus ging mit der Singularbildung «Teutschland» die folgenreiche und ahistorische Gleichsetzung von «Germanen» und «Deutschen» einher. Um ein vermeintlich «deutsches Altertum» zu (re-)konstruieren, griff man neben der antiken Überlieferung auch auf Geschichtsfälschungen zurück. Annius von Viterbo behauptete, verlorene Schriften antiker Autoren wiederentdeckt zu haben. In seinen 1498 erschienen «Antiquitates» berichtet er mit Verweis auf eine (von ihm gefälschte) Quelle über einen in der Bibel nicht genannten (Adoptiv-)Sohn des Noah namens «Tuiscon». Mit diesem illustren Namensgeber, der phonetisch dem antik überlieferten Stammesnamen der «teutones» nahesteht, war die graphematische Variation mit «T» gesetzt. Sie wird in der Frühen Neuzeit zur gängigsten Form der Namensschreibung «Teutschland».

Ein mehrere Jahrhunderte andauernder Gelehrtenstreit, wie denn dieser Ländername korrekt zu schreiben sei, wurde erst durch die Autorität des Germanisten Jacob Grimm in der Mitte des 19. Jhs. entschieden. Mit Blick auf die Sprachgeschichte hält Grimm dezidiert fest: «Wer den namen unseres volks mit T schreibt, sündet wider den sprachgeist» (Deutsche Grammatik, 3. Ausg., 1840). Bereits Friedrich Schlegel hatte in seiner Schrift «Teutsch oder Deutsch» (1813) mit Bezug auf dialektale Praktiken gegen die Schreibung mit «T» polemisiert: «In den Schweizer-Alpen heisst es ‹Düdsch›, wie in Holland ‹Duytsch›; die äussersten Enden der beyden entgegengesetzten Mundarten treffen hier also einstimmig für die Form [mit ‹D›] zusammen.» Dass dennoch im 19. wie im 20. Jh. weiterhin und auf unheilvolle Weise in deutschtümelnden, selbsternannten «teutschen» Kreisen eine ahistorische Wahrnehmung davon herrschte, was der Name «Deutschland» eigentlich bezeichne, ist eine andere lange Geschichte.

Unsere Expertin Cornelia Herberichs ist Professorin für Germanistische Mediävistik und Direktorin des Zentrums für Handschriftenforschung.
cornelia.herberichs@unifr.ch
Literatur
    Goerlitz, U.: Von den ‹diutischen landen› zu ‹Teutschland›, in: Sprachwissenschaft 35 (2010), 187–218.
    Haubrichs, W.: Theodiscus, Deutsch und Germanisch, in: RGA-E 34 (2004), 199–228.
    Schubert, E.: Der rätselhafte Begriff ‹Land› im späten MA und der FNZ, in: Concilium medii aevi 1 (1998), 15–27.

¹Der Asterisk [*] markiert in der Sprachwissenschaft altsprachliche Wörter, die nicht schriftlich überliefert, sondern auf der Basis sprachhistorischer Erkenntnisse rekonstruiert wurden.