Forschung & Lehre
«Wir müssen die Schwachstellen der Bakterien finden»
Immer mehr Bakterien sind resistent gegen Antibiotika. Die Forschungsgruppe von Mikrobiologe Laurent Poirel versucht, die entsprechenden Mechanismen aufzudecken und zu blockieren. Auch wenn die Herausforderung gross ist, blickt er optimistisch in die Zukunft.
Die WHO zählt Antibiotikaresistenzen zu den zehn grössten Gesundheitsgefahren unserer Zeit. Jährlich sterben weltweit rund 1,3 Millionen Menschen daran. Wird die Situation immer noch schlimmer oder verbessert sie sich?
Einerseits wird es weiterhin schlimmer: immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen gegen immer mehr Antibiotika. Vor allem multiresistente Keime nehmen zu und sind in den Spitälern eine grosse Herausforderung. Andererseits verfügen wir glücklicherweise über immer mehr neue Antibiotika. Die Behandlungsmöglichkeiten auch für Patientinnen und Patienten mit multiplen Resistenzen verbessern sich.
Das sind auch positive Nachrichten.
Ja, noch vor fünf Jahren hätte ich diese Aussage nicht machen können. Aber seither hat es bei der Entwicklung neuer Antibiotika grosse Fortschritte gegeben. Trotzdem ist klar: Die Herausforderung bleibt gross, denn Resistenzen werden in der Zukunft noch weiter zunehmen. Nur ein Beispiel: Escherichia coli, also Kolibakterien, verursachen einen grossen Teil der Harnwegsinfekte und Blutvergiftungen. In gewissen Ländern der Welt wirken die Standardantibiotika dagegen in mehr als der Hälfte der Infektionen nicht mehr.
Resistenzen nehmen weiterhin zu. Versucht man noch zu wenig, den Einsatz von Antibiotika auf die wirklich nötigen Situationen zu beschränken?
In gewissen Ländern werden grosse Anstrengungen unternommen und die Nutzung von Antibiotika ist rückläufig. In anderen Ländern und Regionen aber, wie etwa in Asien, nimmt die Nutzung weiterhin zu. Antibiotika sind dort oft rezeptfrei und kostengünstig erhältlich. Das führt dazu, dass sie zu häufig und nicht selten auch unsachgemäss eingesetzt werden. Etwa gegen virale Infektionen, wo sie ohnehin nicht wirksam sind oder ohne ärztliche Begleitung zu wenig lang oder in der falschen Dosis. Je häufiger Antibiotika aber eingesetzt werden, desto grösser ist grundsätzlich der Selektionsdruck auf die Bakterien, Resistenzen zu bilden.
Und das gelingt ihnen auch. Immer besser?
Es ist nicht so, dass Bakterien lernfähig sind und ihre Strategien verbessern. Resistenzen sind etwas Natürliches, sie entstehen fast immer aufgrund von zufälligen Mutationen, die den Keimen einen Überlebensvorteil geben. Die Resistenz geben sie dann an ihre Nachkommen sowie über Genaustausch auch an andere Bakterien weiter. Resistenzen hat es schon immer gegeben, auch bevor Antibiotika existierten. Denn gewisse Mikroorganismen produzieren selbst auch antibiotische Stoffe, um sich etwa gegen Konkurrenten zu wehren. Auch da führten Mutationen schon immer gelegentlich zu Resistenzen.
Das Problem wird sich also nie ganz aus der Welt schaffen lassen?
Das ist so. Es wird auch gegen neu entwickelte Antibiotika irgendwann Resistenzen geben – auch wenn wir noch so sorgsam und sinnvoll damit umgehen. Und wenn die Situation in gewissen Ländern besser wird, löst dies das Problem auch nicht gänzlich. Denn die meisten beispielsweise in der Schweiz neu auftretenden Resistenzen werden von Reisenden mit nach Hause gebracht. Dieses Phänomen sehen wir in unserem Referenzzentrum für Antibiotikaresistenzen täglich. Weil die Menschen mehr reisen als früher, breiten sich auch Resistenzen weltweit stärker aus. Und wir haben wenig Einfluss darauf, wie in anderen Ländern mit der Nutzung von Antibiotika umgegangen wird.
Referenzlabor für Resistenzen
Neue Formen von Antibiotikaresistenzen in der Schweiz umfassend überwachen und ihre Ausbreitung verhindern: Mit diesem Auftrag wurde 2017 im Auftrag des Bundesrates das «Nationale Referenzlaboratorium zur Früherkennung und Überwachung neuer Antibiotikaresistenzen» (NARA) ins Leben gerufen. Es wird von der Abteilung für Medizinische und Molekulare Mikrobiologie der Universität Freiburg betrieben, Direktor ist Dr. Laurent Poirel. Das Laboratorium hat zwei weitere angegliederte Standorte am Centre Hospitalier Universitaire Vaudois und an der Universität Zürich. Am NARA werden Bakterienproben aus Spitälern der ganzen Schweiz untersucht – dadurch wird es möglich, die geographische Ausbreitung von Resistenzen und die entsprechenden Mechanismen der Resistenzbildung zu erfassen. Zudem wird getestet, ob neu auf dem Markt erhältliche Antibiotika gegen multiresistente Keime wirksam sind. Das NARA entwickelt dazu Testmethoden, die auch Spitälern zur Verfügung gestellt werden.

Und weil Resistenzen immer wieder auftreten, müssen immer wieder neue Antibiotika entwickelt werden.
Ja, einerseits brauchen wir immer wieder neue Antibiotika. Die andere wichtige Strategie besteht darin, die Resistenzstrategien der Bakterien gezielt zu bekämpfen, damit auch bestehende Antibiotika wieder wirken. Interessanterweise gibt es Antibiotika, die seit Jahrzehnten existieren und gegen die kaum Resistenzen bestehen. Vermutlich, weil die Resistenzbildung für die Bakterien mit anderen Nachteilen für ihr Überleben verbunden wäre. Wenn immer möglich setzt man in der Medizin zuerst solche älteren Wirkstoffe ein. Neue entwickelte Substanzen sind für Notfälle vorgesehen, wenn alles andere nicht mehr funktioniert. Wir müssen neue Wirkstoffe schonen, damit möglichst lange keine Resistenzen dagegen entstehen.
Ihre Forschungsgruppe untersucht vor allem die Mechanismen der Resistenzbildung. Wie gut versteht man diese heute
bereits?
Die meisten verstehen wir schon gut. Dabei gibt es grundlegende Mechanismen, die von vielen Mikroben genutzt werden, aber auch solche, die spezifisch für ein bestimmtes Bakterium sind. Ein Mechanismus besteht zum Beispiel aus einer Pumpe, mit der Bakterien für sie gefährliche Stoffe aus ihrem Innern entfernen können – etwa Antibiotika. In der Regel ist diese Pumpe relativ schwach ausgeprägt. Aber Mutationen haben bei gewissen Bakterien zu einer überaus aktiven Pumpe und entsprechend mehr Resistenzen geführt.
Was lässt sich dagegen tun?
Wie verstehen diese Strategie der Pumpen zwar gut, aber es ist bisher nicht gelungen, sie auszuschalten. Man fand zwar Wirkstoffe, welche die Pumpen blockieren können, aber diese waren zu toxisch für Menschen. Die Suche geht deshalb weiter. Das Beispiel zeigt, wie die akademische Forschung Pharmaunternehmen dabei unterstützt, bessere therapeutische Strategien zu entwickeln.
Welche anderen Mechanismen gibt es für Bakterien, resistent zu werden?
Es gibt zum Beispiel Mutationen, die dazu führen, dass sich die Membran eines Bakteriums verändert und ein Antibiotikum nicht mehr eindringen kann. Oder dass Bakterien Enzyme herstellen können, die Antibiotika gezielt zerstören. Unsere Forschungsgruppe beschäftigt sich vor allem mit solchen enzymatischen Mechanismen. Diese vermögen eine grosse Gruppe häufig verwendeter Antibiotika wirkungslos zu machen. Die Suche nach Inhibitoren, welche diese Mechanismen der Bakterien wieder ausschalten, gilt deshalb heute als vielversprechender Ansatz.
Resistenz-Enzyme blockieren
Um sich gegen Antibiotika zu schützen, produzieren viele Bakterien Enzyme, welche die Medikamente unwirksam machen. Pharmaunternehmen haben in den vergangenen Jahren Inhibitoren entwickelt – Moleküle, welche die Wirkung dieser Enzyme blockieren. Einer dieser Inhibitoren ist Xeruborbactam. Wird er gemeinsam mit einem Antibiotikum verabreicht, kann dieses seine Wirkung wieder entfalten. Das Team um Laurent Poirel hat kürzlich in einer Studie am Beispiel von zwei häufigen krankheitsverursachenden Bakterien untersucht, wie wirksam Xeruborbactam ist. Dabei zeigte sich, dass die Substanz bei einem der Bakterien sehr wirksam war, beim anderen hingegen kaum. Damit dämpfte die Studie frühere, optimistischere Einschätzungen und gab wichtige Hinweise, wo gezielte Weiterentwicklungen des Inhibitors nötig sind.
Was konnte Ihre Forschungsgruppe bisher dazu beitragen?
In den letzten 15 Jahren gelangen uns einige grosse Erfolge. So haben wir eine Reihe von Enzymen entdeckt, welche Bakterien resistent werden lassen. Auf der Basis unserer Forschung und mit unserer Beteiligung wird jetzt intensiv nach Molekülen gegen diese Enzyme gesucht. Weitere wichtige Beiträge unserer Forschungsgruppe betreffen die Frage, wie Bakterien Resistenzgene untereinander austauschen und wie wir dies bremsen könnten. Ausserdem haben wir zahlreiche Methoden zur Diagnostik entwickelt.
Worum geht es dabei?
Einerseits müsse Ärztinnen und Ärzte möglichst schnell erkennen können, welches Bakterium bei einem Patienten oder einer Patientin eine Krankheit verursacht. Das gelingt heute schon recht gut. Ebenso wichtig ist es, möglichst schnell zu wissen, gegen welche Antibiotika der entsprechende Keim bereits resistent ist. Eine solche Analyse dauerte in der Vergangenheit meist etwa zwei Tage. Heute ist das immer häufiger schon innerhalb von wenigen Stunden möglich. Unsere Gruppe hat entsprechende Verfahren entwickelt, die heute weltweit klinisch angewandt werden. Schnelle Tests sind entscheidend, damit die Ärztinnen und Ärzte nicht Zeit verschwenden mit unwirksamen Medikamenten. Denn: Je mehr Resistenzen es gibt, desto grösser ist die Gefahr, ein unwirksames Antibiotikum zu verabreichen. Schnelle Tests helfen auch, Patientinnen und Patienten mit resistenten Bakterien zu isolieren und damit die Verbreitung von Resistenzen zu verhindern.
Es gibt also grosse Herausforderungen, aber auch Fortschritte. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ich bin optimistisch. Viele Forschungsgruppen arbeiten an Lösungen und neuen Ansätzen. Je besser wir dank Grundlagenforschung den Stoffwechsel von Bakterien verstehen, desto mehr Angriffspunkte ergeben sich. Wir müssen die Schwachstellen der Bakterien finden. Ich bin auch überzeugt, dass technologische Fortschritte und Künstliche Intelligenz uns helfen werden, immer gezieltere Strategien gegen Resistenzen zu entwickeln. Es gilt auf verschiedenen Ebenen anzusetzen. Weil sich Resistenzen nie gänzlich verhindern lassen, müssen wir adäquat darauf reagieren. So ist es weiterhin wichtig, den Einsatz von Antibiotika weltweit zu reduzieren.
Lange hiess es, für Pharmaunternehmen lohne es sich wirtschaftlich nicht, neue Antibiotika zu entwickeln. Es sei zu aufwändig, dauere zu lange und die Medikamente liessen sich nicht teuer genug verkaufen.
Inzwischen hat sich ein bestimmtes ökonomisches Modell etabliert. Neue Wirkstoffe entstehen heute vor allem in kleinen Start-ups. Stiftungen und der Staat unterstützen diese, damit sie neue Ansätze erproben können. Das ist ein hohes Risiko, denn in vielen Fällen wird es nicht funktionieren. In einigen Fällen aber schon. Und dann kaufen Pharmaunternehmen die entsprechenden Start-ups auf und bringen die neuen Medikamente auf den Markt. Ob man dieses Modell gut findet oder nicht, es funktioniert. Zahlreiche antibiotische Wirkstoffe werden bald auf den Markt kommen. Handlungsbedarf besteht allerdings trotzdem. Wir sollten die Zulassung vereinfachen und beschleunigen.
Unsere Experte Laurent Poirel ist Assistenzprofessor für Molekulare und Medizinische Mikrobiologie an der Universität Freiburg. Zu Beginn seiner akademischen Karriere beschäftigte er sich mit Viren, heute mit Bakterien: «Diese vermehren sich viel rascher, daher ge- langt man in der Forschung schneller zu neuen Erkenntnissen. Das gefällt mir als ungeduldige Person.»
laurent.poirel@unifr.ch