Dossier
Mit Unschärfe in die Zukunft
Resilienz ist die Fähigkeit, schwierige oder gar traumatische Lebenssituationen zu bewältigen und sich davon zu erholen. Kombiniert mit der sogenannten Fuzzylogik, entsteht daraus ein neues Konzept: das Rechnen mit Worten und Wahrnehmungen. Informatikprofessor Edy Portmann erklärt.
Starten wir mit der Resilienz. Wann wurde der Begriff geprägt?
Das Wort leitet sich vom lateinischen Verb resilire ab, was so viel heisst wie zurückspringen, abprallen oder zurückschrecken. Mit dem Begriff wurden Materialien beschrieben, die nach Spannung oder Verformung wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehrten. In den 50er Jahren wurde dieses Denken in die Psychologie und später in weitere Bereiche integriert. Für Menschen, die in Gesellschaften eingebettet sind, bezieht sich der Begriff oft auf psychische, emotionale und soziale Widerstandskraft. In Verbindung mit systemtheoretischem Denken wurde der Begriff in den Umweltwissenschaften zu einem zentralen Forschungsschwerpunkt. Dabei griff man auf Arbeiten des Informatikers und Systemwissenschaftlers Jay W. Forrester zurück, der Modelle zur Analyse des Verhaltens komplexer Systeme über die Zeit entwickelte – eine wichtige Grundlage für das heutige Resilienzverständnis.
Wie hat sich die Bedeutung oder Verwendung des Begriffs Resilienz im Laufe der Zeit verändert?
Resilienz wurde zunächst in der Materialwissenschaft gebraucht. Heute beschreiben wir damit nicht nur die Widerstandskraft von Menschen, sondern auch von Ökosystemen, Organisationen und Gesellschaften. Die Umweltwissenschaftlerin Donella Meadows, eine Doktorandin von Jay W. Forrester, brauchte den Begriff als entscheidendes Merkmal von gesunden Systemen. Sie sah Resilienz nicht nur als Fähigkeit eines Systems, sich nach Störungen zu erholen, sondern sich anzupassen und neu zu organisieren, um damit widerstandsfähiger zu werden.
Inwiefern ist die Erforschung von Resilienz von Nutzen?
Die Förderung von Resilienz auf individueller und gesellschaftlicher Ebene kann zur sozialen Stabilität und zur wirtschaftlichen Stärkung der Schweiz, sowie zur individuellen Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Meadows’ Forschung zeigt, dass Systeme nicht auf Effizienz oder Vorhersehbarkeit optimiert werden sollten, sondern auf die Fähigkeit, sich ständig an Veränderungen anzupassen. Im Gegensatz zum Rückspringen nach einer Verformung, wie es die Materialwissenschaft noch erforschte, betont sie strukturelle Elemente, die Systeme widerstandsfähig machen. In diesem Sinne betrachten wir die Welt nicht als eine Maschine, die optimiert werden muss, sondern als ein lebendiges und organisches System, das genährt und geschützt werden will.
Gibt es auch problematische Seiten an der heute so verbreiteten Rede von Resilienz?
Da die Definition in verschiedenen Bereichen uneinheitlich gebraucht wird und somit mehrdeutig sein kann, gibt es zu Recht auch Kritik. Zum Beispiel kann ein Hervorstreichen individueller Resilienzen die strukturellen Ursachen von Problemen verschleiern. Wenn der Begriff als individuelle Eigenschaft verstanden wird, kann sich die Verantwortung für eine Bewältigung auf ein Individuum verschieben, was von gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Problemen ablenken kann. Zudem kann Resilienz als moralische Pflicht verstanden werden, in der Scheitern als Versagen gewertet wird, anstatt die Umstände mitzuberücksichtigen, die dazu geführt haben. Zu viel Resilienz kann zudem auch dazu führen, dass man sich zu lange in einer schlechten Situation aufhält, anstatt sie zu ändern oder sie zu verlassen.
Sie beschäftigen sich mit Resilienz im Zusammenhang mit der Fuzzy Systemtheorie. Was ist Fuzzylogik?
Fuzzylogik, oder auch unscharfe Logik, ist ein Ansatz, der unser menschliches Denken und die damit verbundene Ungenauigkeit imitiert. Im Gegensatz zur klassischen Logik, die nur die Wahrheitswerte wahr (1) oder falsch (0) kennt, erlaubt diese Logik Werte zwischen 0 und 1. Als Fuzzy Systemtheorie bezeichnet mein früherer Mentor, der Vater der Fuzzylogik, Lotfi A. Zadeh, sein Konzept, das mit Unbestimmtheit, Unschärfe und vager Information umgehen kann, um gute Entscheidungen zu treffen und Prozesse zu steuern.
Wie lässt sich Resilienz in diese Theorie integrieren?
Die Fuzzy Systemtheorie ermöglicht es, natürlichsprachliche Aussagen zu Resilienz zu formulieren. Diese Aussagen sind nicht wie in der klassischen Denkweise Theoreme, sondern Beschreibungen unserer Wahrnehmungen, die einen möglichst hohen Wahrheitsgehalt haben und in Bezug auf Fragen zur Resilienz informativ sind. Die Anwendung der Theorie führt zum «Rechnen mit Worten und Wahrnehmungen», mit dem Menschen in die Welt integriert und so mit der Systemtheorie untersucht werden können.Ein Rechnen mit Worten und Wahrnehmungen ermöglicht den Bau resilienterer Informationssysteme, die mit Informationen wie Wörtern und Sätzen arbeiten und umgehen können. Im Gegensatz zur herkömmlichen Datenverarbeitung können wir dieses Konzept immer dann einsetzen, wenn verfügbare Informationen zu vage oder ungenau sind, als dass wir Zahlen verwenden könnten. Das Konzept erlaubt uns also den Bau von wahrnehmungs- statt bloss messbasierten Systemen.
Darf ich um ein Beispiel bitten?
Mit diesem Denken lassen sich beispielsweise Städte resilienter machen. Diese sind oft Belastungen ausgesetzt, die ihre Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität ihrer Bewohner_innen und Bewohner bedrohen. Deshalb ist die Möglichkeit, diesen Herausforderungen standzuhalten, sich anzupassen und sich von Schocks zu erholen ein wesentlicher Pfeiler einer resilienten Stadtentwicklung. In einem unserer Forschungsprojekte adressierten wir diese Herausforderungen, indem wir subjektive, menschliche Wahrnehmungen von Orten in der Stadtplanung mitberücksichtigen. Moderne Stadtplanungssysteme stützten sich oft nur auf objektive, messbare Kriterien, wie Bevölkerungsdichte, Gebäudegrössen oder Verkehrsfluss. Es fehlen ihnen aber Datenpunkte, wie die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Umgebung wahrnehmen – also, ob diese einen Ort als sicher, angenehm oder belebt empfinden. Das Projekt, das wir in der Stadt Zürich durchführten, macht diese Wahrnehmungen sichtbar. Dazu sammelten wir mit Stadtbildern im Crowdsourcing-Verfahren unscharfe Aussagen, wie, «der Käferberg ist sicherer als das Industriequartier», «der Lindenhof ist angenehmer als die Langstrasse» oder «Zürich-West ist belebter als das Seefeld» mit welchen wir maschinell ein Modell trainierten. Dieses Modell ist eine Art kartographierte Wahrnehmung, die es Planern und Architekten ermöglicht, die Stadt so umzugestalten und zu erweitern, dass diese stärker den Bedürfnissen und dem Wohlbefinden ihrer Bewohnerinnen und Bewohner entsprechen und somit die individuellen Lebensqualitäten erhöhen kann.
Welchen Mehrwert verspricht die Verbindung von Resilienz und Fuzzylogik?
Meine Gruppe entwirft resiliente Anwendungen für die digitale Transformation. Unsere Forschungen von Resilienz in Menschen und ihren Anwendungen rühren vom Prinzip der Inkompatibilität her, welches die Notwendigkeit von Unschärfe für ein zukunftsorientiertes Anpacken von Herausforderungen offenbart. Die Welt ist voller Ungenauigkeit; Forschung und Wissenschaft hingegen wollen genau sein – und die Fuzzylogik kann beides miteinander in Einklang bringen. Daher beschränkt sich unsere Forschung nicht auf einzelne Bereiche und Disziplinen, sondern erweitert diese jeweils mit gestaltungsorientierten Methoden aus der Fuzzylogik. Ein Aspekt ist dabei, die mit Fuzzylogik zu erschliessenden Fähigkeiten, über Widerstände hinwegzukommen, für die Gestaltung resilienter Systeme zu erkennen und diese zu nutzen. Dazu verwenden wir die Möglichkeitstheorie, die statt einer Wahrscheinlichkeit, welche die Häufigkeit des Eintretens eines Ereignisses misst, vielmehr einen Grad an Möglichkeit (von 0, unmöglich, bis 1, möglich) und die dazugehörige Notwendigkeit (von 0, nicht notwendig, bis 1, notwendig) beschreibt. Sie hilft, Informationen zu modellieren, wie sie in unserer Sprache vorkommen. Im Kontext von Resilienz geht es nämlich vielfach nicht nur darum, wie wahrscheinlich ein gewisses Ereignis ist, sondern wie sehr man die Möglichkeit seines positiven Ausgangs in Betracht zieht.
Welche Anwendungen oder Zukunftsperspektiven sehen Sie für diese Forschung?
Wirtschaftlicher und technologischer Wandel, gesellschaftliche und politische Umbrüche sowie ökologische Herausforderungen erfordern flexible und nachhaltige Lösungen. Resilienz ist daher eine Voraussetzung für eine zukunftsfähige Gesellschaft und Wirtschaft. Sie lässt sich nur über die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft stärken. Mit dem Erkennen und Aktivieren von Möglichkeiten umfasst Resilienz Zukunfts- und Lösungsorientierung.
Was fasziniert Sie am Begriff der Resilienz?
Resiliente Systeme sind direkt mit Optimismus, beziehungsweise einer Erwartung positiver Zukunftsereignisse verbunden. Diese feste Überzeugung positiver Möglichkeiten fasziniert mich. Resilienz scheint mir der ideale Einsatz für Zadehs menschzentrierte Methoden, die sich auf die Menschen und ihre Gesellschaften konzentrieren. Menschen mit hoher Resilienz haben generell ein optimistischeres Weltbild, was es ihnen erlaubt, auch in scheinbar ausweglosen Situationen Möglichkeiten zu sehen. Sie lassen sich nicht so leicht durch Probleme blockieren, sondern suchen nach Handlungsoptionen. Indem diese Menschen akzeptieren, was sie nicht ändern können, und ihre Energie auf die Suche nach innovativen Möglichkeiten und Lösungen ausrichten, sind sie in der Lage, negative Ereignisse neu zu bewerten und zu interpretieren, so dass sich neue Perspektiven und damit auch neue Möglichkeiten eröffnen.
Der Mobiliar Cluster für Resilienz fördert inter- und transdisziplinäre Forschung, um praxisnahe Lösungen zur Stärkung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Resilienz in der Schweiz zu entwickeln. Die Forschungspartnerschaft zwischen der Universität Freiburg und der Mobiliar baut Brücken zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft; sie umfasst mehrere Projekte, die sich alle mit der Resilienz der Schweiz befassen.
Unser Experte Edy Portmann ist Vorsitzender des Mobiliar Cluster für Resilienz und Professor am Departement für Informatik der Universität Freiburg. Er leitet die Gruppe für Resiliente Systeme am Human-IST Institut, die sich mit Computational Ethics, Computing with Words, Fuzzy Systems und Perceptual Computing befasst.
edy.portmann@unifr.ch
