Dossier

Göttliche Berge – ein romantisches Bild

Abbé Jacques Rime hat die Religion in den Freiburger Bergen untersucht. Ein Gespräch über die Hirten der Hirten und frühkapitalistische Hexengeschichten.

Abbé Rime, wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Glauben der Sennen zu befassen?

Eigentlich durch Zufall. Ich sollte für meinen Verleger jemanden finden, der etwas dazu schreiben könnte. Als ich dann niemanden fand, musste ich es wohl selbst tun.

Wie ist denn die Kirche in den Freiburger Bergen präsent?

Ich würde sagen auf drei Arten. Zuerst einmal physisch: Mit Kapellen, kleinen Gebetshäuschen sowie mit Gipfelkreuzen. Dann persönlich: Mit Priestern, die sich um die Älpler kümmern. Und schliesslich in der Volkskultur, wo Theaterstücke und Lieder die Schönheit der Berge als Werk Gottes bezeichnen. [Abbé Bovet: Le vieux chalet, La prière du pâtre].

Haben sich die Freiburgerinnen und Freiburger schon immer für ihre Berge interessiert?

Überhaupt nicht. Das sieht man beispielsweise daran, dass im Mittelalter viele Gipfel noch gar keine Namen hatten – ganz im Gegensatz etwa zu den Flüssen, deren Namen sehr viel älter sind. Berge waren keine nützlichen Orte und wenn man doch einmal ins Gebirge ging, dann nicht um dort Gott zu suchen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen.

Um das Vieh auf die Alpweiden zu bringen.

Genau. Und die Namen dieser Alpwirtschaften sind dann später oft zu den Gipfeln gewandert. Das berühmteste Beispiel stammt aus dem Bernbiet: Die Jungfrau, an deren Fuss die Nonnen von Interlaken eine Alp besassen. Nach der Jungfrauenalp wurde dann der Jungfrauenberg benannt. Überhaupt verfügten die Klöster im Voralpenraum über ausgedehnte Ländereien.

Die Religion war also nicht direkt in den Bergen präsent?

Doch. Man weiss von der Existenz einiger alter Pilgerstätten und Bethäuser sowie alter Legenden mit religiösem Bezug.

Zum Beispiel?

Spontan fällt mir die Kapelle in der Schlucht von Neirivue ein. Oder das private Bethäuschen im Vallée de Motelon, das zur eigentlichen Pilgerstätte wurde. Oder Le Pré de l’Essert bei Charmey, wo sich die Leute versammelten um für den Schutz der Herden zu beten. Am Moléson gab es bei Gros Plané eine Quelle, von der sich die Leute im 14. Jahrhundert Heilung versprachen. Und im Breccaschlund bei Schwarzsee ist im Felsen der Fussabdruck eines Mönchs zu sehen, der dort der Sage nach die Schlangen verjagt haben soll.

Wenn Gott im Himmel wohnt, wohnen die Bergler nahe bei Gott. Wurden sie als besonders gute Menschen angesehen?

Das würde ich nicht sagen. Der Klerus kannte zwar die biblische Symbolik der Berge, betrachtete die Sennen aber eher argwöhnisch. Schliesslich wusste man nicht genau, was diese da oben so taten und was an ihren Alpfesten alles geschah, liess sich kaum kontrollieren. Es gibt sogar Leute, die behaupten, in den Bergen seien heidnische Bräuche gepflegt worden. Ich sehe dafür aber keine Indizien.

Steingeiss auf der Gonerlilücke (VS/TI). © marcovolken.ch

Auch nicht für die Präsenz von Hexen?

Abgeschiedene Orte wurden gern als angebliche Versammlungsorte von Hexen bezeichnet – sei’s im Flachland oder in den Bergen. Wenn Hexengeschichten in den Bergen angesiedelt wurden, ging es oft auch darum, einen Gegensatz zwischen Berg und Ebene, zwischen fortschrittlich und hinterwäldlerisch zu kreieren.

Dass dieser nicht immer gegeben war, zeigt die Geschichte von Catillon, die 1731 als letzte Freiburgerin wegen Hexerei hingerichtet wurde. Sie hat auf den Alpen um Käse und Milch gebettelt, aber die frühkapitalistischen Älpler gaben ihr nichts. Sie waren in ihrem Denken moderner als die Bauern in der Ebene und dachten an ihren Gewinn, statt an die alten Reflexe der Solidarität. Als später die Milch nicht gerinnen wollte, behaupteten sie, Catillon habe sie verhext.

Zur selben Zeit begann sich auch das Verhältnis der Menschen zu den Bergen zu verändern.

Ja, während die Leute früher ein eher distanziertes Verhältnis zu den Bergen hatten, wurden sie im 18. Jahrhundert romantisch verklärt. Besonders spannend ist da die Anekdote von Horace-Bénédict de Saussure, der 1787 – ein Jahr nach der Erstbesteigung – den Mont Blanc bestieg. Saussure erwartete, dass er auf dem Gipfel nicht nur alles sehen, sondern auch alles verstehen würde. Da schwingen beim aufgeklärten Wissenschaftler durchaus biblische Motive mit. Saussure als moderner Moses, könnte man sagen.

Im 19. Jahrhundert hat dann insbesondere die Entstehung des Nationalstaats das Verhältnis der Schweizerinnen und Schweizer zu den Alpen geprägt. Die Berge wurden Teil der nationalen Erzählung. Und erst als die Berge bereits stark positiv besetzt waren, wurden sie – insbesondere in den katholischen Kantonen – mit Gipfelkreuzen geschmückt. Diese stammen zum grössten Teil aus dem 20. Jahrhundert, wo es in den Freiburger Voralpen in den 1940er und 50er, sowie in den 1980er und 90er Jahren zwei Gipfelkreuz-Wellen gab.

 

Unser Experte Jacques Rime   war Universitätspfarrer an der Universität Freiburg. Der Gruérien hat verschiedene Studien zum Thema Volksglaube publiziert. Seine Habilitation in Kirchengeschichte trägt den Titel «Bergers des âmes au pays des armaillis» und dreht sich – am Beispiel der Freiburger Voralpen – um die religiöse Konstruktion einer Landschaft.

jacques.rime@bluemail.ch