Dossier

Junggeblieben wie ein Zebrafisch

Zebrafische sind die Meister der Organregeneration. Warum sich ihr Herz auch nach mehreren Infarkten immer wieder erneuern kann und wie die Wissenschaft versucht, den Alterungsprozess zu verstehen, erklärt Biologie-Professorin Anna Jazwinska im Interview.

Um sich mit dem Thema Regeneration auseinanderzusetzen, haben Sie viel am Zebrafisch geforscht. Warum?

Zebrafische können ihre Organe nach einer Verletzung sehr gut erneuern. Wenn die Schwanzflosse bei diesen kleinen Aquariumbewohnern teilweise abgetrennt wird, wächst sie innerhalb von zwei bis drei Wochen nach. Auch ein beschädigtes Herz ist nach einem Monat perfekt repariert. Selbst degenerierte Sehzellen in der Retina, die ein sehr komplexes Gewebe ist, werden ersetzt. Diese natürlichen Selbstheilungskräfte finde ich sehr beeindruckend.

Bei Menschen lässt die Effizienz der Gewebeerneuerung mit zunehmendem Alter nach. Ist das auch bei Fischen der Fall?

Die regenerativen Fähigkeiten sind sowohl bei jungen als auch bei alten Fischen vorhanden. Das Regenerations-Programm bleibt während ihres gesamten Lebens aktiv. Dadurch sind sie im hohen Alter vermutlich gesünder als Säugetiere, die Dermis, Retina und Herzmuskel nicht erneuern können. Die Fische haben in diesem Bereich einen klaren Vorteil gegenüber uns Menschen, wir kriegen mit dem Alter Falten, Sehbeschwerden und Herzprobleme. In einer Studie haben Forscher_innen die Flosse eines Fisches dreissig Mal abschneiden und wieder regenerieren lassen. In einer anderen Studie hat sich das Herz eines Fisches auch nach dem sechsten Infarkt wesentlich regeneriert. Die Kapazität scheint unbeschränkt zu sein.

Bedeutet das, dass Fische gar nicht altern?

Nicht alle Gewebe der Fische haben die gleichen regenerativen Kräfte. Die Wirbelsäule zum Beispiel erneuert sich auch bei Zebrafischen nicht so effizient. Nach ein paar Lebensjahren neigt sie zur Krümmung, ähnlich wie das bei uns Menschen im Alter der Fall ist. Die Fortpflanzung sinkt mit der Zeit auch bei Fischen, was ein Zeichen des Älterwerdens ist. Im Labor, wo die Tiere optimale Bedingungen vorfinden, können Zebrafische mehr als fünf Jahre bei guter Gesundheit leben. Es gibt aber andere, kurzlebige Fischarten, deren Lebensspanne nur vier bis vierzehn Monate beträgt.

Warum können die Fische ihren Herzmuskel ersetzen und wir nicht?

Bei Zebrafischen bewahren die Herzmuskelzellen das ganze Leben lang die Fähigkeit, sich zu vermehren. Wird ein Teil des Herzens beschädigt, werden die alten Zellen eliminiert. Die nebenan vorhandenen gesunden Zellen teilen sich und sorgen so für Ersatz. Bei uns Menschen hingegen können sich die funktionellen Herzmuskelzellen nicht vermehren. Wir haben von der Geburt bis zum Tod eine ähnliche Anzahl an Zellen im Herzmuskel. Ihre Grösse passt sich dem Wachstum des Körpers an, es kommen aber keine neuen Zellen dazu. Wenn nun also einzelne dieser Herzmuskelzellen beschädigt werden, ist der Verlust irreversibel.

Warum sind die Herzmuskelzellen von Fischen und Menschen derart unterschiedlich?

Die ursprünglichen regenerativen Mechanismen wurden beschränkt, weil sie vermutlich nicht mehr mit unseren adaptiven Innovationen kompatibel waren. Bei Säuge­tieren haben sich Herzmuskelzellen erheblich spezialisiert, um mehr Leistung hervorzubringen. Unser Herz pumpt das Blut stärker, um den hohen Stoffwechselbedarf des Körpers zu befriedigen. Je grösser und komplexer Zellen allerdings sind, desto weniger Möglichkeiten haben sie für ihre Teilung. Der Vorteil der Hochleistung hat in diesem Fall seinen Preis in beschränkter Flexibilität für die Regeneration.

Wie sind Regeneration und Älterwerden grundsätzlich miteinander verknüpft?

Ein Zitat von Richard Goss ist eine gute Antwort auf diese Frage: Er begann sein Buch «Principles of Regeneration» 1969 mit dem wegweisenden Satz: «If there were no regeneration, there could be no life. If everything regenerated, there would be no death. All organisms exist between these two extremes.»

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Wenn sich alles regenerieren würde, gäbe es also keinen Tod beziehungsweise kein Älterwerden. Regeneration und Älterwerden können somit als gegensätzliche Phänomene betrachtet werden. Wie aber sind sie verknüpft?

Die Verknüpfung zwischen den beiden Extremen besteht in erster Linie im ähnlichen Auslöser: Unerwünschte Beschädigung von Zellen oder Teilen von Geweben. Dafür können umgebungsbedingte Faktoren verantwortlich sein, aber auch körperinterne. Verschiedene biologische Prozesse verlaufen nicht immer perfekt. Der Organismus nutzt sein Reparatur-Kit, um regelmässig einen Service an den zellulären Komponenten durchzuführen und beschädigte Teile abzubauen und zu ersetzen. Die abgenutzten, mutierten oder toten Zellen sollten entsorgt werden.

Was passiert sonst?

Wenn die beschädigten Zellen verbleiben oder verlorene Zellen nicht ersetzt werden können, dann akkumulieren sich Schäden. Dadurch wird der Körper weniger fit und anfälliger für typische Alters-Erkrankungen. Dazu gehören Parkinson und Alzheimer ebenso wie Herzprobleme oder Krebs. Dass das Gewebe die abnormalen Zellen bewahrt, ist die schlechteste der drei Optionen, wie der Körper auf eine Beschädigung reagieren kann.

Was sind die anderen beiden Optionen?

Im Idealfall wird das Gewebe mit den ursprünglichen Zelltypen in den fast originalen Zustand erneuert. In diesem Fall spricht man von Regeneration. Eine andere Möglichkeit ist, dass das Gewebe durch den Ansatz von anderen Zellen repariert wird. Die bilden dann zum Beispiel eine Narbe, um die Integrität des Organes zu gewährleisten. Auch das ist ein nicht-regeneratives Szenario, das die Alterung bei einem Organismus vorantreibt.

Was beschädigt die Zellen im Körper konkret?

In erster Linie sind hochreaktive Moleküle für die Schäden verantwortlich. Sie werden als Nebenprodukt der Zell­atmung gebildet. Eine Überproduktion dieser Moleküle sorgt für so genannten oxidativen Stress, der die Funktion von Organellen und auch der DNA schädigen kann. Es wird vermutet, dass auch systemische Schwankungen negativ auf die Zellen wirken können, etwa psychologischer Stress, Störungen des Immunsystems oder hormonelle Dysbalance, sowie auch verschiedene Sorten von Traumata. Infektionen, toxische Chemikalien, Hitze und UV-Strahlung sind nur einige von vielen Gefahren für die Zellen. Unter diesen Bedingungen ihr Gleichgewicht zu bewahren ist eine Herausforderung für sie.

Wie reagieren die Zellen selbst auf eine Verletzung?

Die Zellen verfügen über effiziente Mechanismen für die Selbstreparatur und können so gegen die negative Wirkung von schädlichen Stoffen oder von Stress ankämpfen. Mit der Zeit verliert das Selbstreparatur-Kit aber an Effizienz. Vor allem wenn es zu viel im Einsatz steht, nutzt es sich ab. Beschädigte proliferierende – also sich schnell vermehrende – Stammzellen können zu Krebs führen. Und beschädigte nicht proliferierende Zellen können ihre Funktion schlecht erfüllen und stören die gesunden Zellen. In dem zweiten Fall sprechen wir von seneszenten Zellen, umgangssprachlich auch Zombie Zellen genannt. Ihr Stoffwechsel verläuft nicht wie erwünscht, sie produzieren Stoffe, die zu chronischen Entzündungsreaktionen führen. Dadurch entstehen Schäden im Gewebe. Das begünstigt unter anderem degenerative Erkrankungen des Gehirns oder der Gelenke.

Wovon hängt es ab, wie gut die Reparatur-Mechanismen funktionieren?

Wie robust das Selbstreparatur-Kit ist und wie der Körper mit nicht reparierbaren Zellen umgeht, ist zwischen den Tierarten, aber auch innerhalb der Populationen unterschiedlich. Ein Teil ist angeboren, allerdings spielt auch die Lebensweise eine Rolle. Es gibt Studien mit Mäusen, die zeigen, dass der Lebensstil einen grossen Einfluss hat. Eine Diät mit weniger Kalorien hat den Mäusen geholfen, langsamer zu altern und länger zu leben. Neben der Ernährung ist auch das Stresslevel ein wichtiger Faktor. Wenn wir gestresst sind, produzieren wir Cortisol und andere Hormone, die dafür sorgen, dass der Stoffwechsel rapid ansteigt und das Gleichgewicht der Zellaktivitäten gestört wird. Das kann zu einer Überforderung führen. Wenn wir gestresst sind, verlaufen die Wundheilung der Gewebe und die Selbstreparatur der Zellen langsamer, entsprechend beschleunigt Stress den Alterungsprozess und ist ein Risikofaktor für verschiedene Krankheiten. Unsere Erkenntnisse aus dem Labor zeigen, dass die Herzregeneration bei Zebrafischen ebenfalls anfällig auf Stress ist. Im ersten Monat nach einem Herzinfarkt reicht eine einzige stressige Stunde pro Tag, um die Genaktivität zu beeinflussen und die Teilung der Herzmuskelzellen zu bremsen. Entsprechend fördern stressfreie Bedingungen die Heilungsprozesse.

Es klingt nach einem evolutionären Paradoxon: Die mangelhafte Regeneration und die Alterung machen uns anfälliger für Erkrankungen und verkürzen unser Leben. Warum hat die Evolution diese Programme nicht korrigiert?

Es gibt Hunderte Hypothesen über die evolutionäre Begründung der Alterung. Immer mehr Wissenschaftler_innen tendieren zu der Ansicht, dass die Alterung kein eigenständiges biologisches Programm ist, sondern bloss ein Nebeneffekt der unzureichenden Regeneration und Zellreparatur. Die Evolution hat jedoch dafür gesorgt, dass die Reparatur-Werkzeuge lange genug funktionieren, damit die Lebewesen ihren Nachwuchs zur Welt bringen können.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Studien mit verschiedenen Tierarten haben einen Zusammenhang zwischen der ökologischen Situation und der Lebenserwartung aufgezeigt. Mäuse zum Beispiel haben in der Natur sehr viele verschiedene Feinde. Das Risiko, dass sie von einem Raubtier gefressen werden, ist entsprechend hoch. Zudem können sie im Winter schnell erfrieren oder verhungern. Deshalb haben Mäuse eine Strategie entwickelt, sich bereits im ersten Lebensjahr zu vermehren – die Chance ist schlicht klein, dass sie länger überleben. Und tatsächlich haben sich die zellulären Mechanismen der Selbstreparatur bei ihnen dahingehend angepasst. Selbst eine Maus unter besten Laborbedingungen wird nach ungefähr zwei Jahren alt.

«Live fast, die young.» Bei welchen Tieren ist es genau umgekehrt?

Auf der anderen Seite des Spektrums finden wir den Grönlandhai. Forscher_innen gehen davon aus, dass die Tiere bis zu 500 Jahre alt werden. Dieser Haifisch ist riesig und hat sich dahingehend angepasst, dass er sehr tief im arktischen Meer und dem Nordatlantik leben kann. Sein Fleisch ist toxisch, er hat fast keine natürlichen Feinde. Grönlandhaie wachsen langsam und werden erst im Alter von 150 Jahren sexuell reif. Wenn eine Population in einer Situation lebt, in welcher der Grad der Gefährdung niedrig ist und der Körper langsam wächst, wird die Alterungsrate angepasst. Bei Wirbeltieren gilt grundsätzlich: Je geringer das Risiko, durch umweltbedingte Ursachen zu sterben, desto langsamer verläuft die biologische Alterung.

Menschen haben keine natürlichen Feinde mehr, beziehungsweise, wir können alle potenziellen Feinde unter Kontrolle halten. Unser Grad der Gefährdung ist niedrig. Wird die Evolution also dafür sorgen, dass wir in Zukunft weniger schnell altern?

Eine evolutionäre Entwicklung geschieht nicht innerhalb weniger Generationen. Die Grönlandhaie haben sich über Millionen Jahre zu den Wesen hin entwickelt, die sie heute sind. Bei den Menschen betrug die Lebenserwartung in Europa noch vor 150 Jahren 40 Jahre. Heute sind es mehr als 80 Jahre, weil sich die äusseren Bedingungen im vergangenen Jahrhundert deutlich verbessert haben. Für grosse evolutionäre Anpassungen ging das alles viel zu schnell. Unsere biologischen Selbstreparatur-Kits sind mit dem Tempo überfordert. Wir sollten unsere Hoffnungen deshalb nicht in die Evolution setzen, sondern in die Wissenschaft. Forscher_innen probieren herausfinden, ob und wie wir präventive Mechanismen boosten können, um Alterungsprozesse zu verzögern.

Die rechtzeitige Entfernung von irreparablen Zellen wäre ein Rezept gegen das Älterwerden.

Das ist tatsächlich ein wichtiges Ziel. Wissenschaftler_innen arbeiten darauf hin, Medikamente gegen seneszente Zellen zu entwickeln. Nebst der Bekämpfung von pathologischen Zellen gibt es auch noch andere Ansätze. Die regenerative Medizin versucht, die alten Gewebe zur Erneuerung zu stimulieren. Wie gut diese Strategien funktionieren werden, wissen wir aber noch nicht.

Inwiefern helfen die Erkenntnisse zu den Zebrafischen auf dem Weg zu dem Ziel, den Alterungsprozess bei Menschen zu verlangsamen?

Es ist wichtig, zu verstehen, welche Mechanismen den Fischen ermöglichen, die regenerativen Fähigkeiten auch im Alter zu bewahren. Herauszufinden, was an ihrem Reparatur-Kit so besonders ist, kann ein wichtiges Puzzleteil sein. Alterung ist allerdings ein sehr komplizierter, vielschichtiger Prozess. Er geschieht gleichzeitig auf so vielen Ebenen, dass es nicht nur ein Programm gibt, das man untersuchen kann. Obwohl das Thema hochrelevant ist,  stehen wir deshalb noch ganz am Anfang von diesem langen Weg.

Unsere Expertin Anna Jazwinska ist Professorin am Departement für Biologie der Universität Freiburg und leitet dort die Zebrafisch-Forschungs­gruppe. Neuerdings forscht sie auch am Platy, einem Fisch, der sich schon früh in der Evolution vom Zebra fisch abgelöst hat und als weiter ent­wickelt gilt.
anna.jazwinska@unifr.ch