Porträt

«Ich habe meine Karriere nicht geplant»


Philomena Colatrella ist seit September 2016 Chefin der CSS Versicherungsgruppe. 1996 schloss sie an der Universität Freiburg ihr Studium der Rechtswissenschaften ab und legte damit die Grundlage für ihre Karriere. Wobei: Das Wort «Karriere» mag sie gar nicht.

Was war Ihr Traumberuf als Kind? Und was ist daraus geworden?

Natürlich sind mir als Kind die verrücktesten Ideen durch den Kopf gegangen, was aus mir einst werden könnte – Astronautin zum Beispiel oder Diplomatin, Dolmetscherin, Dirigentin, Direktorin. Letztlich aber lösten sich der Flug zum Mond sowie die vier «D» in Luft auf. Ich war pragmatisch genug, in Luzern das Lehrerseminar zu absolvieren und – allerdings nur für kurze Zeit – zu unterrichten. Meine Berufung fand ich aber erst im Verlauf meines Rechtsstudiums in Freiburg. Hier reifte die Einsicht, dass ich meine Erfüllung dann finde, wenn ich mich für andere einsetzen und Lösungen anstreben kann. Im weitesten Sinne bin ich auch heute noch in dieser Funktion tätig: Als CEO der CSS setze ich mich täglich für die Anliegen unserer Versicherten ein.

 

Wenn Sie einen Charakterzug ablegen könnten: welchen?

Möglicherweise bin ich manchmal zu ungeduldig. Aber meine doch schon recht lange Zeit bei der CSS hat mich gelehrt, Langmut zu entwickeln. Ich arbeite in einem Bereich, in dem Entscheidungen oft Jahre in Anspruch nehmen, vor allem, wenn sie auf politischem Parkett gefällt werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist es mittlerweile schwierig, mich wirklich aus der Ruhe zu bringen.

 

Was denken Sie sich, wenn Sie als Karrierefrau bezeichnet werden?

Ich nehme es zur Kenntnis und gehe zur Tagesordnung über. Ich meine, es erübrigt sich, im Jahr 2017 noch über Begriffe wie eben «Karrierefrau» zu diskutieren. Wenn ein Mann in der Hierarchie-Leiter nach oben steigt, ist es normal, bei der Frau nennt man es Karriere.

 

Was war die schwierigste Verhandlung Ihres Lebens, und wie verlief sie?

Ich erinnere mich an den Fall einer Versicherten, der mir sehr nahegegangen ist. Es ging um eine damals 16-Jährige, die nach der Einnahme eines Verhütungsmittels eine Lungenembolie erlitt und heute schwerstbehindert ist. Die junge Frau kann weder sprechen noch gehen und muss ihr ganzes Leben lang rund um die Uhr betreut werden. Die CSS setzte sich für die Frau im Rahmen einer Schadenersatzklage ein und trat dabei gegen einen europäischen Pharmariesen an. Letztlich wurde die Klage vor Bundesgericht abgewiesen. Zu sehen, wie ein Medikament das Leben eines Menschen zerstört und die Pharmafirma mit den Pillen gleichzeitig satte Gewinne erzielt, ist für mich etwas vom Frustrierendsten, das ich bis heute erlebt habe.

 

Sie sind im Stiftungsrat des Kleintheaters Luzern. Würden Sie manchmal lieber auf dieser Bühne stehen?

Ich weiss nicht, ob ich mich als Schauspielerin eignen würde. Das hiesse, mich zu verstellen, etwas vorzugeben, das ich nicht bin. Das widerspricht meinem Naturell. So gesehen sitze ich im Kleintheater lieber im Publikum. Also wenn schon Bühne, dann Krankenversicherung. Als CEO stehe ich nämlich auch hier immer wieder – wenn auch ungewollt – im Rampenlicht. Und meist wird, um in die Theatersprache zu wechseln, die ganze Palette von der Komödie über die Posse bis hin zum Drama geboten – manchmal als Einakter, nicht selten aber als Endlosstück.

 

Weshalb sind Sie CEO einer Krankenkasse und nicht einer Bank oder einer Baufirma?

Weil ich ständig mein Portemonnaie suchen muss und zudem keinen Nagel grad einschlagen kann… Im Ernst: Ich glaube kaum, dass das Bankenumfeld mein Herzblut so erwärmen könnte, dass ich mich wirklich wohlfühlen würde. Und was das Bauen anbelangt, liegt mir das Handwerkliche schlicht zu wenig im Blut. Ein Beruf sollte mit Begeisterung ausgeübt werden. Nur so stellen sich auch Erfolge ein.

 

© Meinrad Schade

Wenn Sie die Welt anschauen: Welche Hoffnungen haben Sie, welche haben Sie aufgegeben?

Kosmopolitisch gesehen hoffe ich, dass die Weltgemeinschaft all die Verwerfungen, über die wir täglich lesen, irgendeinmal wird überwinden können. Wenn Sie aber von mir Hoffnungslosigkeit erwarten, muss ich Sie enttäuschen. Dafür bin ich zu positiv eingestellt.

 

Wie sieht die erste Stunde Ihres Tages aus, wie die letzte?

In der ersten Stunde versuche ich, die positiven Aspekte des Tages auszuloten. Ich tue dies alleine für mich bei einem feinen italienischen Espresso. Am Ende des Tages gilt es, sich von allem zu befreien, was belastet. Das kann ich am besten bei klassischer Musik, die mich wegschweben lässt.

 

Wenn Sie Ihre Karriere nochmals planen könnten, würden Sie sich anders entscheiden?

Ich habe meine Karriere, um bei diesem ungeliebten Wort zu bleiben, nicht geplant. Ich habe mir stets eine Aufgabe im Leben gesucht, die sinnbringend für mich und meine Mitmenschen ist. Ich hätte also keinen Grund – noch einmal jung – einen anderen Weg zu beschreiten.

 

Das Interview wurde schriftlich geführt.

 

Philomena Colatrella, in Luzern aufgewachsen, mit Italienisch als Muttersprache, war nach ihrem Studium in Freiburg zuerst als Anwältin tätig. 1999 wechselte sie zur CSS und übernahm den Rechtsdienst für die Deutschschweiz und den Tessin. 2012 wurde sie Generalsekretärin und Mitglied der Konzernleitung. Als CEO der CSS ist sie innovativ und hat für besonders gesundheitsbewusste Kunden ein Rabattmodell entwickelt. Colatrella setzt sich für die Rechte der Frauen ein, fordert aber keine Quotenlösungen, sondern neue Rollenbilder.