Dossier
Gibt es noch unentdeckte Lebewesen? Malika, 9 Jahre
Die Frage ist äusserst wichtig: Wir sollten so viele Lebewesen wie möglich beschreiben und erforschen, bevor sie vielleicht aussterben. Denn wir wissen nicht, was für eine Aufgabe sie für die Erde haben und was ohne sie geschehen wird.?
Von den vielen Lebewesen, die es gibt, kennen wir bisher ungefähr zwei Millionen Arten. Aber es gibt noch viel, viel mehr, die wir noch nicht kennen. Wie viele es genau sind, das weiss kein Mensch. Die Wissenschaft ist sich nur so weit einig, dass es weit mehr unbekannte als bekannte Arten gibt.
Wenn Wissenschaftler eine neue Art entdecken, dann beschreiben sie diese und sagen, wie sie sich von anderen Arten unterscheidet. Angefangen hat damit vor 250 Jahren der schwedische Gelehrte Carl von Linné. Er hat gesagt: «Lasst uns doch allen Arten von Lebewesen Namen geben, sie beschreiben und sie nach ihrer Verwandtschaft einteilen». Seither machen dies Wissenschaftler auf der ganzen Welt.
Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Denn wie schon gesagt: kein Mensch weiss, wie viele Arten von Lebewesen es insgesamt auf der Erde gibt. Die Wissenschaftler möchten aber trotzdem gerne wissen, wieviel Arbeit noch auf sie wartet, wie viele Arten sie noch nicht kennen und wie viele Arten es insgesamt gibt. Nur: wie schätzt man eine Zahl, von der man nicht weiss, wie gross sie ist?
Wissenschaftler schauen sich dafür an, wie viel Zeit man früher gebraucht hat, um neue Arten zu finden, und vergleichen das mit heute. Am Anfang, als alle Arten unbekannt waren, ging es schnell, eine neue Art zu entdecken. Aber je mehr Arten beschrieben sind, desto schwieriger ist es, eine neue zu finden. Das heisst, je länger man braucht, um eine neue Art zu entdecken, desto mehr Arten kennt man schon. Oder desto weniger neue Arten gibt es noch.
Nehmen wir als Beispiel die Pflanzen. Wir Menschen essen Pflanzen und füttern damit Tiere. Wir pflanzen sie in unseren Garten oder nehmen sie als Medizin, wenn wir krank sind. Deshalb hat sich der Mensch schon immer sehr für Pflanzen interessiert. Deshalb weiss er auch sehr viel über Pflanzen. So viel sogar, dass es schwierig wird, neue Pflanzenarten zu entdecken! Fast alle sind schon bekannt. Man schätzt, dass es etwa 300’000 Pflanzenarten gibt.
Bei den Tieren ist es anders. Hier kennen wir fünfmal so viele Tiere wie Pflanzen (also 1.5 Millionen), aber wir kennen längst nicht alle Arten, die es gibt. Die grösseren Tiere, wie zum Beispiel Säugetiere wie Affen, aber auch Vögel, Frösche und Schlangen, sind fast alle beschrieben. Wissenschaftler entdecken nur noch selten neue Arten. Die Freude war deshalb riesig, als sie kürzlich in der Schweiz eine neue Fledermausart entdeckten.
Kleine Tiere wie Insekten, oder noch kleinere Tiere, die man nur unter dem Mikroskop sieht, kennt man nicht so gut. Es ist da viel einfacher eine neue Art zu entdecken. Jeder kann das im Prinzip. Man muss gar nicht weit gehen. Wenn man im Garten eine Handvoll Erde nimmt, so kann man darin Arten finden, die noch keinen Namen haben und die noch niemand beschrieben hat. Wie wissen die Wissenschaftler aber nun, dass sie eine neue Art entdeckt haben? Als einfache Regel gilt: Lebewesen, die sich in der Natur miteinander vermehren, gehören zur selben Art. Um also herauszufinden, ob Tiere zur gleichen Art gehören oder nicht, kann man beobachten, mit wem sie sich vermehren und Junge bekommen. Nehmen wir als Beispiel die Fledermausart, die vor kurzem entdeckt wurde. Die Feldermausspezialisten merkten, dass einige Fledermäuse innerhalb einer ganz bestimmten Art sich überhaupt nicht treffen, dass sie sich deshalb auch nicht miteinander vermehren können. Deshalb haben sie gesagt: Das müssen zwei verschiedene Arten Fledermäuse sein. Bei vielen anderen Lebewesen funktioniert diese Methode des Beobachtens aber nicht. Zum Beispiel bei Würmern im Boden kann man nicht so einfach schauen, mit wem sie sich vermehren.
Die Wissenschaftler haben es deshalb mit der Genetik versucht. Die Genetik untersucht, wie stark zwei Lebewesen miteinander verwandt sind. Alle Lebewesen haben Gene und die Gene sind in jedem Teil eines Lebewesens vorhanden. Sie stammen zur Hälfte vom Vater und zur anderen Hälfte von der Mutter. Die Gene sind der Grund dafür, dass Kinder ihren Eltern ähnlich sind. Lebewesen der gleichen Art haben sehr ähnliche Gene, sonst könnten sie sich nicht vermehren. Wenn man die Gene untersucht, kann man also feststellen, ob ein Lebewesen zu einer neuen Art gehört. Doch das ist nicht immer so einfach, denn die Gene aller Arten sind ziemlich ähnlich, auch wenn die Arten nicht nah verwandt sind. Die Gene des Menschen stimmen zum Beispiel zu 98.5 Prozent mit jenen des Schimpansen überein und noch zur Hälfte mit denen der Stubenfliege! Aber es wird noch komplizierter: auch Lebewesen derselben Art haben nicht immer die gleichen Gene. Da ist es schwierig zu sagen, wie gross der Unterschied für eine neue Art sein muss. Auch die Genetik ist daher nicht in der Lage, eine Art eindeutig zu beschreiben. Die beste Methode ist deshalb, es so zu machen wie Carl von Linné vor 250 Jahren: die neue Art zu beschreiben und zu sagen, worin sie sich von den anderen, bekannten Arten unterscheidet. Leider sterben viele Arten aus, bevor wir sie überhaupt entdeckt haben. Der Grund für das Aussterben sind oft wir Menschen, weil wir die Oberfläche der Erde verändern: Wir pflanzen Getreide an, bauen Städte und Strassen und holen Erdöl und Metalle aus dem Boden. Viele Arten verlieren so ihren Lebensraum.
Unser Experte Sven Bacher leitet am Departement für Biologie eine Forschungsgruppe zu Themen der angewandten Ökologie. Auch berät er die Europäische Kommission und das deutsche Bundesamt für Naturschutz zu Fragen über gebietsfremde Arten. Seine Spezialgebiete sind biologische Invasionen, Agrarökologie und Naturschutz.