Yale Konsultation

Joy, Innocence and Guilt

Unsere Partnerschaft und Freundschaft mit dem Yale Center for Faith and Culture (YCFC) trägt Früchte: Am 19./20. Oktober 2017 fand eine „Yale Consultation“ zum Thema „Joy, Innocene, and Guilt“ an der Universität Fribourg statt.

Das YCFC steht unter der Gesamtleitung von Prof. Miroslav Volf, der bereits 2015 an unseren Studientagen Hauptreferent war. Im Rahmen des Projektes „Theology of Joy and the Good Life“ soll der in der Theologie vernachlässigte Aspekt der „Freude“ aus der Perspektive von verschiedenen „Virtues, Actions and Emotions“ erforscht werden. Eine dieser Zugänge bildet das Gegensatzpaar „Innocence and Guilt“, das bei der Konsultation in Fribourg im Mittelpunkt der Diskussionen stand.

Alle Beteiligten präsentierten im Vorfeld ein 20-seitiges Paper zum Thema, das von jeweils einem der Anwesenden kommentiert und dann miteinander im Plenum diskutiert wurde. Der ehemalige Rektor der Universität Fribourg, Prof. em. Dr. Guido Vergauwen, und Dr. Walter Dürr nahmen ebenfalls an den Gesprächen teil. Geleitet wurde die Konsultation von den beiden Assistenten Miroslav Volfs, Dr. Ryan McAnnally-Linz und Dr. Matt Croasmun. Die Gespräche dauerten insgesamt 12 Stunden und eine Vielzahl von Aspekten zum Thema Freude, Schuld und Unschuld kamen zur Sprache.

Bei der Konsultation kam eine handverlesene Auswahl an Professor/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen miteinander ins Gespräch:

  • Prof. DDr. Michael Welker aus Heidelberg
  • Dr. Rebecca Giselbrecht aus Zürich
  • Prof. Dr. Alan Norrie aus Warwick (England)
  • Prof. Dr. Ralph Kunz aus Zürich
  • Prof. Dr. Barbara Hallensleben aus Fribourg.
Die Teilnehmenden der Konsultation: (von links nach rechts) Prof. Barbara Hallensleben, Prof. Alan Norrie, Dr. Walter Dürr, Dr. Ryan McAnnally-Linz, Dr. Rebecca Giselbrecht, Dr. Matthew Croasmun, Prof. Michael Welker, Prof. Ralph Kunz und Prof. em. Guido Vergauwen

Unterschiedliche Perspektiven im Gespräch

Für Michael Welker war dies eine neue und bereichernde Erfahrung, sich mit dem Thema „Freude“ auseinanderzusetzen. Er hob die theologische Multidimensionalität der Freude im Philipperbrief des Paulus hervor. Die Wiederentdeckung dieser paulinischen Freude sei insbesondere in einer gefährdeten und selbstgefährdenden Welt wie der heutigen vonnöten. Die destruktiven Kräfte in der (menschlichen) Natur können nur durch die Ausgießung des Heiligen Geistes überwunden werden, der dem menschlichen Leben Gerechtigkeit, Liebe und Freude verleiht. Rebecca Giselbrecht konstatierte einen Bruch zwischen dem legalistischen Verständnis von Schuld und Unschuld bei den Reformatoren und dem affektiven Verständnis in der Postmoderne. Gutes Leben und Freude bei den Reformatoren bedeutete die Freiheit des Gläubigen in der gnadenhaften Vergebung der Schuld und in der daraus gewonnenen Unschuld in Christus, die eine Wiederherstellung des Verhältnisses zu Gott und zu den Mitmenschen möglich machte. Alan Norrie, Rechtsprofessor in Warwick, elaborierte auf Basis von realen Erfahrungen von Vergebung aus dem „Forgiveness Project“ fünf Formen der Liebe: zu sich selbst, zum anderen, im Verhältnis zwischen selbst und anderem, Verhältnis zwischen selbst, anderem und der Gemeinschaft und in der „konkreten Universalität“ aller Beteiligten. Vergebung eröffnet neue Möglichkeiten der Gemeinschaft und hat es mit affektiven, legalen und soziopolitischen Aspekten zu tun. Ralph Kunz beleuchtete die spirituellen Aspekte des Alterns („Gerotranszendenz“). Der einseitig auf die individuellen Ressourcen orientierte und auf die eigene Resilienz basierte Umgang mit den Herausforderungen des Alterns sei häufig bei alten Menschen nicht wirksam. Zentral ist vielmehr die Einsicht, dass die wahren spirituellen Ressourcen von aussen kommen. So könne man in der Abhängigkeit Vertrauen fassen und dabei wie Kinder zu einer Freude finden in der Hoffnung, dass das Gute und das Leben stärker sind als das Böse und der Tod. Barbara Hallensleben fasste die Tagung konzis zusammen und bettete die Diskussion in den grösseren Rahmen des Projektes „Theology of Joy and the Good Life“ ein. Sie lotete den Beitrag des Themas für eine Theologie aus, die der Freude in Christus in ihren verschiedenen Facetten Rechnung trägt.

 

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Rückmeldungen

Die Konsultation wurde von allen Teilnehmern als eine Bereicherung empfunden. Insbesondere der ungezwungene und offene Austausch ermöglichte es den Teilnehmern vertraulich die eigenen (theologischen) Ansichten zur Sprache zu bringen, was ansonsten in der scientific community nicht häufig der Fall ist. Dieses Format könnte richtungsweisend sein für weitere Tagungen. Die wachsende Freundschaft zwischen dem Yale Center for Faith and Culture und dem Studienzentrum eröffnet die Perspektive, weitere Konsultationen oder Tagungen in Fribourg abzuhalten.

Interview mit Prof. Michael Welker

Wie ist die Verbindung mit dem Yale Center for Faith and Culture zustande gekommen? 

MW: Ich bin mit Miroslav Volf seit der Tübinger Promotionszeit verbunden, wir haben immer wieder zusammen gearbeitet, wenn auch nicht stetig und intensiv. Uns beide verbindet das Anliegen, Theologie in einer global ausgerichteten interdisziplinären Forschungsgemeinschaft zu betreiben. Yale gehört zu unseren Partnern und so ist auch der Kontakt für die Konsultation zustande gekommen.

Sie haben bei der Konsultation mehrmals erwähnt, dass das Thema „flourishing life“ und „joy“ neue Perspektiven für die Theologie eröffnen kann? 

MW: Ich habe bereits über viele theologische Begriffe gearbeitet, doch erst jetzt bin ich sozusagen genötigt gewesen das Thema „joy“ aufzugreifen. Die Beschäftigung mit dem klassischen neutestamentlichen Text zur Freude, dem Philipperbrief des Paulus, war für mich sehr aufschlussreich. Die Vielschichtigkeit der Freude bei Paulus zu entdecken war für mich auch eine spirituelle, eine persönlich bereichernde Erfahrung.

Sie arbeiten viel mit Pfingsttheologen zusammen und haben auch ein Buch über den Heiligen Geist geschrieben. Im Juni 2017 hatten wir bei unserem Studientag „Come, Holy Spirit“ u.a. Amos Yong, Pfingsttheologe aus Fuller Theological Seminary, mit dabei. Viele Kirchen leiden an Geistarmut – sehen Sie Felder, wo wir von Pentekostalen und Charismatischen Kirchen lernen können?

MW: Definitiv können wir von pfingstlichen und charismatischen Kirchen lernen, gerade was die emotionale Seite des Glaubens betrifft (der Geist schenkt ja eben auch „Freude“). Ebenso bewirkt die Geistausgießung eine kritische Auseinandersetzung mit unserem bipolaren Denken. Wir pflegen fruchtbare Kontakte mit Pfingsttheologen und wir führen gemeinsame Tagungen durch, wo wir viel voneinander lernen. Es gibt eine neue Generation von pentekostalen Theologen, die stärker akademisch-theologisch reflektieren, was wir sehr begrüßen. Auch wenn der Frömmigkeitsstil der Pfingstkirchen nicht jedermanns Sache ist, sollen wir uns demgegenüber nicht verschließen.

Sie leiden an der Selbstsäkularisierung der Kirchen. Wie kann die Theologie aus Ihrer Sicht dem etwas entgegensetzen? 

MW: Wir brauchen eine neue Begeisterung für eine inhaltlich ausgerichtete Theologie! Die alte Brücke zwischen Theologie und Philosophie ist zu erweitern durch exemplarische Dialoge mit Juristen, mit Naturwissenschaftlern, mit Ökonomen, etc. und zwar so, dass wir uns in diesen Dialog inhaltlich einbringen und ihn mit unserem Glaubenswissen bereichern. Wir haben hier große Versäumnisse in unserer theologischen Ausbildung, wir haben kaum mehr Vertrauen in unsere eigenen Glaubensinhalte.

Eine beglückende ökumenische Erfahrung war für mich die Gedächtnisvorlesung zu Johannes Paul II., die ich in Warschau hielt. Ich wollte mich von seinem individualistischem und modernistischem Geistverständnis in seiner Enzyklika „Dominus et vivificantem“ abgrenzen. Am Vortag wurde mir aber erzählt, dass Johannes Paul II. nach seiner Papstwahl auf dem Siegesplatz in Warschau 1979 folgenden Segen proklamiert hat: „Sende aus deinen Geist! Und erneuere das Angesicht der Erde! Dieser Erde!“ Als ich das gehört habe, wurde mir klar, dass dies genau meinem Verständnis der Pneumatologie entsprach. Das hat mich begeistert und ich begann meinen kritischen Vortrag umzuschreiben. Erst später fand ich heraus, dass diese Art von Theologie in der damaligen polnischen Regierung nicht erwünscht war. Sie war ihr zu freiheitlich und subversiv. Mit einer inhaltlich ernsthaften Theologie stößt man schnell auch an Widerstände und Grenzen. Genau das braucht es aber in der heutigen Theologie!

Prof. Welker ist Seniorprofessor an der Universität Heidelberg sowie Honorarprofessor an der Seoul Theological University und Geschäftsführender Direktor des FIIT (Forschungszentrum Internationale und Interdisziplinäre Theologie)