Credo Juli 2022 www.zhkath.ch

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Das Magazin für Mitarbeitende der Katholischen Kirche im Kanton Zürich

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Interview mit dem Moraltheologen Daniel Bogner Seiten 6/7/8

So kommt der Verhaltenskodex in der Praxis an Seiten 8/9

Wie es mit dem Kodex weitergeht Seiten 10/11

Liebe - Sex Moral - Macht Wie wir aus der kirchlichen Sackgasse kommen. Ab Seite 6

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Editorial

Verhaltenskodex - mehr Leitlinien als Gesetz Vor zweieinhalb Monaten haben Bischof Joseph Maria und Vertreter der Bistumskantone in Chur den Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht unterzeichnet. Viel wurde seither über das 30-seitige Dokument berichtet. An der Frühjahrsklausur des Synodalrats wurde der Verhaltenskodex angeregt diskutiert. Neben Lob und Kritik ging es um die Frage, was mit dem Kodex erreicht werden soll.

Raphael Meyer Vize-Präsident :`UVKHSYH[ Ressort Personal. -V[V! 7L[LY 2U\W

Eines vorweg: Der Verhaltenskodex ist nicht als moderne «Halsgerichtsordnung» zu verstehen nach dem Motto: «Wer gegen «a» verstossen hat, wird mit «b» bestraft» Das würde kaum zu einer positiven Teamkultur beitragen, sondern bloss ein neues Angstklima schaffen, in dem jedes Wort zuerst auf die Goldwaage gelegt werden muss. Der Verhaltenskodex soll in erster Linie sensibilisieren und dazu anregen, sich mit dem eigenen Verhalten kritisch zu befassen. Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Es wird auch niemandem wegen eines unbedachten Witzes oder einer unpassenden Bemerkung gekündigt. Aber aus Fehlern soll man lernen und diese künftig vermeiden. Hier kann uns der Verhaltenskodex als Leitlinie gute Dienste erweisen. Diese Chance sollten wir wahrnehmen. In diesem Sinne ruf ich Sie auf, an den Veranstaltungen zum Verhaltenskodex teilzunehmen und sich dort konstruktiv und kritisch einzubringen. Raphael Meyer

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3 Momentum

Regenbogen in der Kirche 4 Aktuell

Wechsel bei der Fachstelle Flüchtlinge 6-11 Fokus

Liebe – Moral Verhaltenskodex 12 Engagiert

Cantars in Dübendorf 14 Perspektiven

Behindertenseelsorge wird 50 15 Seelen-Nahrung

Von Herz zu Herz 16 Ausläuten

Fronleichnam in Dietikon

Impressum credo credo erscheint vierteljährlich und NLO[ HU 4P[HYILP [LUKL Behördenmitglieder und Freiwillige der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. 5á 1\SP www.zhkath.ch/credo credo@zhkath.ch (\ÅHNL! ˕ ,_WS Gestaltung +LUPZ :JO^HYa A YPJO

Herausgeberin Katholische Kirche im Kanton Zürich Kommunikationsstelle Hirschengraben 66 8001 Zürich

Druck und Papier :[HɈLS 4LKPLU (. Zürich )HSHUJL7\Y! OLYNLZ[LSS[ aus 100% Recyclingfasern und mit dem Umweltlabel «Blauer ,UNLS® aLY[PÄaPLY[


Momentum

«Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und allen Lebewesen, die bei euch sind, auf ewige Zeiten.» (Genesis 9,12)

Der Regenbogen symbolisiert schon im ersten Buch der Bibel den Segen Gottes über Noah und allen Menschen künftiger Generationen, ohne Unterschied. Die «Regenbogenbank» zur Segensfeier «Liebe gewinnt» in der Kapelle von St. Peter und Paul in Zürich steht queer im Raum und überstrahlt jede Uniformität kirchenamtlicher Moral-Engführungen. -V[V! 4HU\LSH 4H[[

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Aktuell

Zahlen & Fakten

39’523

Asylgesuche werden während der Flüchtlingswelle 2015 gestellt.

«Die Aufgabe verlangt Freude und Gelassenheit.» Ende Juni übergibt Priska Alldis die Leitung der Fachstelle Flüchtlinge bei Caritas an Andrea Müller, bisherige Leiterin von youngCaritas. Gespräch: Aschi Rutz

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Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene werden im ersten Corona-Lockdown direkt unterstützt.

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Koordinationsstellen setzen das Tandemprogramm in ökumenischer Zusammenarbeit um.

56’999

Schutzgesuche von ukrainischen Menschen treffen zwischen März und Mitte Juni 2022 ein.

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Priska Alldis hat die Fachstelle Flüchtlinge bei Caritas Zürich aufgebaut. -V[V! (ZJOP 9\[a

Du übergibst nach gut sechs Jahren Aufbauarbeit: Wie erlebst du die aktuelle Flüchtlingssituation? Unser System in der Schweiz ist total überfordert. Es ist die schiere Anzahl Menschen, die innerhalb kurzer Zeit zu uns gekommen sind und unsere Hilfe benötigen. Hat es neben den Flüchtlingen aus der Ukraine noch Platz für andere Schutzsuchende? Selbstverständlich gibt es weiterhin Schutzsuchende aus anderen Ländern, die sich die Augen reiben ob all der Privilegien der ukrainischen Flüchtlinge. Arbeitende im Flüchtlingswesen und engagierte Kirchgemeinden stellen mit Unbehagen fest, dass es aktuell eine Ungleichbehandlung gibt. Welche Ziele hattest du als Stellenleiterin? Ich hatte die Aufgabe, die Pfarreien mit ihren Freiwilligen und Netzwerken zu unterstützen. Mir war auch wichtig, ihnen und Caritas Zürich mein Fachwissen weiterzugeben. Dazu gehörte, dass die Hilfe gegen-

über Schutzsuchenden stets auf Augenhöhe und respektvoll geschieht. Hast du deine Ziele erreicht? Ja, ich konnte meine Ziele weitgehend erreichen, wenn auch nicht flächendeckend. Wer wollte, hatte meine Unterstützung. Sehr gut gelungen ist die Zusammenarbeit mit der reformierten Landeskirche. Macht die Kirche genug für die Schutzsuchenden? Auf der menschlichen Ebene machen die Pfarreien sehr viel sehr gut. Auf der strukturellen oder politischen Ebene wünschte ich mir hingegen mutigere Stellungnahmen zu Missständen. Was gibst du deiner Nachfolgerin mit auf den Weg? Die Aufgabe verlangt viel Freude, Flexibilität und Gelassenheit. Ich weiss, dass meine Nachfolgerin Andrea Müller dies alles mitbringt.

www.caritas-zuerich.ch/was-wir-tun/ fachstelle-fluechtlinge


Aktuell

Hinwil

Wir begrüssen und verabschieden

Fiirabigmärt

Saskia Richter startet im August in der Kommunikation als neue Social-MeKPH ,_WLY[PU \UK A\Z[pUdige für Events. Sie ersetzt Kerstin Lenz KPL ZPJO LPULY UL\LU ILY\ÅPJOLU /LYH\Zforderung stellt. Sibylle Ratz startet im September und wird im November Aschi Rutz nachfolgen als stellvertretende Leiterin der Kommunikation. Björn Callensten hat am 1. Juni seine Stelle als neuer Direktor von Caritas Zürich angetreten und folgt auf Max Elmiger. Claudia Willi folgte in der RKZ im Mai auf Claudia 2Y\TTLUHJOLY KPL PU 7LUsion gegangen ist. Andrea Müller tritt in der Fachstelle Flüchtlinge von Caritas Zürich ab Juli die Nachfolge von Priska Alldis HU KPL PU 7LUZPVU NLO[ Eveline Husmann betreut seit April die neu geschaffene Koordinationsstelle für Flüchtlings-Engagements von Pfarreien in der Stadt Zürich.

Am 6. Mai fand der erste Fiirabigmärt Hiwil statt. 17 Marktstände vor der katholischen Kirche lockten über 1000 Besucherinnen und Besucher an. Die Gesamtkoordination liegt vor allem bei Mitgliedern der katholischen Kirchgemeinde - unterstützt von vielen Freiwilligen aus der Gemeinde. Der neue Markt will in der Gemeinde Hinwil das Gemeinwohl fördern und für nachhaltigen Konsum werben. Als Besonderheit soll ohne Verpackungsmaterial oder mit Mehrwegverpackungen gearbeitet werden. 15 Markstände bieten regionale und saisonale Lebensmittel an. Zusätzlich sind zwei Marktstände für Vereine und Gruppen reserviert. Die Restauration wird vom Verein Zürcher Eingliederung getragen. https://fiirabigmaert.ch/

Susanne Hirsch übernahm im Mai in der Spitalseelsorge einen Teil der Aufgaben von Lisa Palm KPL PU 7LUZPVU geht. Als Regionalleiterin ist Susanne Hirsch Linienvorgesetzte für Seelsorgende an elf Standorten. Spitalseelsorger Daniel Burger übernimmt von Lisa Palm die Palliative-Care-Fachbereichsleitung. Lucas Onana arbeitet seit Juni als Priester für die Mission catholique de langue française. Die weit über den Kanton A YPJO OPUH\Z ILRHUU[L .Lmeindeleiterin und Pfarreibeauftragte Monika Schmid geht am 1. September in Pension.

Wir trauern Am 12. Juni verstarb Domherr Franz Stampfli der viele Jahrzehnte als =PRHY 7MHYYLY 4P[HYILP[LY PT .LULYHS]PRHYPH[ )LH\M[YHN[LY für Migrantenseelsorge und Informationsbeauftragter für das Bistum tätig war.

Zukunftsdialog Religion – Begegnung mit Jacqueline Fehr in Ihrer Kirchgemeinde. Was bedeutet Religion für den Staat? Wie soll das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in zehn oder zwanzig Jahren aussehen? Ist das bestehende System im Kanton Zürich – ausgerichtet auf die beiden «grossen Kirchen» zukunftsfähig? Wie gehen Staat und Kirchen mit der religiösen Pluralisierung um, die sich beispielsweise in der grösseren Zahl muslimischer und orthodoxer Personen zeigt und der wachsenden Zahl von Personen ohne Konfessionszugehörigkeit? Diese und weitere Fragen möchte die Zürcher Religionsministerin Jacqueline Fehr mit Ihnen diskutieren! Haben Sie Interesse, im Spätherbst 2022 einen Diskussionsanlass mit ihr in Ihrer Pfarrei oder Kirchgemeinde zu veranstalten? Dann melden Sie sich bis 22. August 2022 bei der Kommunikationsstelle der Direktion der Justiz und des Innern. Kontaktperson: Stefanie Keller, 043 259 39 96, stefanie.keller@ji.zh.ch.

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«Die Lehre war nie in Stein gemeisselt.» Der Moraltheologe Daniel Bogner über die Sackgasse der Sexuallehre, warum der Verhaltenskodex so wichtig ist und warum Moraltheologen mutiger werden sollten. Interview: Simon Spengler

Daniel Bogner, PZ[ 7YVMLZZVY M Y 4VYHS[OLVSVNPL HU KLY <UP]LYZP[p[ -YLPI\YN P l -V[V! a=N

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Sie halten in diesem Semester Vorlesungen zum Thema «Liebe, Körper, Sexualität». Wie reagieren Ihre Studierenden auf die kirchenamtliche Sexualmoral? Natürlich wird sie kritisch diskutiert. Positiv wird aber gewürdigt, dass es im Kern darum geht, Sexualität mit grosser Sorgfalt und einem Verantwortungsbewusstsein für sich und das Gegenüber zu leben. Negativ fällt vor allem auf, dass die kirchliche Sexuallehre zu kurz greift, wo sie auf körperliche Fruchtbarkeit fixiert ist. Die an sich wertvolle Idee von Fruchtbarkeit wurde historisch lange Zeit einzig auf Nachkommenschaft enggeführt. Der Mensch öffnet sich in der Sexualität für einen anderen Menschen und soll aus dieser Erfahrung heraus wiederum offen sein für andere. Ausserdem fehlt der offiziellen Sexuallehre die Sensibilität dafür, dass Liebe, Sex und Begehren immer in einem bestimmten kulturellen Kontext stehen und von davon massgeblich mitgeprägt werden. Was erlaubt und schicklich ist, variiert in verschiedenen Kulturen und Epochen. Dafür ist die kirchliche Lehre blind. Mit welchen Folgen? Zum Beispiel führt das zu einer beinahe schizophrenen Einstellung der kirchlichen Lehre gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen. In dieser Frage steckt die Kirche wirklich in einer Sackgasse! Dabei ist doch die ureigenste Überzeugung der Kirche, dass Werte wie Liebe, Treue und Fürsorge eine christliche Partnerschaft ausmachen. Der Lernschritt, dass Kirche auch verantwortungsvoll gelebte homosexuelle Partnerschaften segnet, ist längst überfällig. Und ich könnte mir vorstellen, dass auch in der Katholischen Kirche diskutiert werden wird, ob das nicht sogar sakramentalen Charakter hat. Der Bischof von Chur hat jüngst in einem Interview unterschieden zwischen sexueller Neigung, die er akzeptiere, und dem Ausleben der Neigung. Vereinfacht gesagt sind Homosexuelle nur dann gute Menschen, wenn sie keinen Sex haben. Wie beurteilen Sie das als Moraltheologe?

Das ist die klassische Lehre der Kirche, die heute allerdings stark unter Druck geraten ist, aus guten Gründen. Für betroffene Menschen muss das zynisch klingen. «Ich akzeptiere dich, aber nur zur Hälfte», so kann man diese Lehre übersetzen. Sexualität ist eine dynamische Kraft, die den Menschen zum Menschen macht, indem er kreativ und verantwortlich damit umgeht. Wer zwischen Neigung und Ausleben der Neigung unterscheidet, akzeptiert die Geschlechtlichkeit als Schöpfungsgabe Gottes in ihrem vollem Umfang eben nicht. Es verlangt vom Menschen, eine wesentliche Schöpfungsgabe auf «stand-by» zu stellen, ja gegen seine Natur zu leben.

«Wer bin ich, dass ich einen Homosexuellen verurteilen könnte, predigt der Papst...» Aus Münster liegt wieder eine Studie vor, die einmal mehr zeigt, wie tief der Missbrauchsskandal inmitten der Kirche verankert ist. Ihre Einschätzung? Das Wertvolle an dieser neuen Studie ist, dass sie einen breiten Blick auf Kirche und die binnenkirchliche Kultur erlaubt. Die Ergebnisse sind niederschmetternd! Sie zeigen, dass der Missbrauchsskandal nicht nur Fehlverhalten von Einzelnen ist, sondern durch das System Kirche in diesem Umfang erst möglich wurde. Auch wenn die Täter Kleriker sind, so wurde und wird das Wegschauen, Vertuschen und die Überhöhung des geweihten

Priesters auch von Laien oft mitgetragen. Auch sie sind Teil eines Systems, das diese Taten erlaubt. Was muss sich ändern? Das ist die 100’000-Franken-Frage. Die Studie zeigt, dass die bisherigen Formen und eine bestimmte Kultur des Kircheseins an ein Ende gekommen sind. Wir brauchen eine neue Kirchenverfassung mit wirksamer Machtkontrolle und verbindlichen Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten. Das geht viel weiter als die schöne «Synodalität», von der wir gerade viel hören. Wenn wir an einen Gott glauben, der Männer wie Frauen mit gleicher Würde geschaffen hat, wie können wir uns da eine Kirche leisten, die einem Grossteil der Menschen und Frauen besonders wesentliche Beteiligungsrechte abspricht? Das zweite grosse Thema ist ein erneuertes Priesterbild. Hier stehen wir vor einer grossen theologischen Aufgabe. Mit der Sakralisierung des Priesteramts stellen wir den Missbrauchstätern die Ampel auf grün, weil sie wissen: Du kannst dir das leisten, es wird dir in diesem System nichts geschehen. Missbrauch aufdecken und bestrafen ist das eine. Etwas anderes ist es, Missbrauch gar nicht erst zu ermöglichen. Was muss hier getan werden? Prävention ist natürlich das zentrale Feld, damit rote Linien gar nicht erst überschritten werden. Der Verhaltenskodex des Bistums Chur geht ja genau in diese Richtung, deshalb ist er sehr wertvoll. Wie man sich heute noch als Priester gegen diesen Kodex stellen kann, ist mir ein Rätsel. Kritiker monieren, einige Punkte des Kodex stünden im Widerspruch zum Katechismus. Zum Beispiel in Bezug auf Homosexualität. Das kann man nur mit einer vollkommen juridisch fixierten Lesart der Texte behaupten. Ich würde es positiv so formulieren: Der Kodex legt verbindlich fest, was in der kirchlichen Verkündigung und der gelebten Seelsorge-Praxis längst als Standard einleuchtet. Aber es stimmt leider, dass Papst Franziskus seine eigene Verkündigung, zum Beispiel in

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-VR\Z! 3PLIL ¶ 4VYHS =LYOHS[LUZRVKL_ Amoris laetitia, noch immer nicht in kirchliches Recht und Lehre umgesetzt hat. «Wer bin ich, dass ich einen Homosexuellen verurteilen könnte», predigt der Papst. Aber die diskriminierende Lehre ändert er nicht. Das ist nun der dringend anstehende nächste Schritt. Recht und Katechismus sind nicht das Wichtigste, aber ohne die richtigen Normen wird die gute Praxis vor Ort oftmals zur Sisyphosarbeit.

Kirchliche Lehre kann also verändert werden? Selbstverständlich. Sie hat sich immer weiterentwickelt und verändert. Die Lehre war nie in Stein gemeisselt! Veränderung muss möglich sein, weil sich ja auch das Umfeld verändert, auch Erfahrungen und Erkenntnisse über die Wirklichkeit ändern sich. Und bei der Sexualität geht es ja nicht um Glaubensaussagen aus dem Credo, sondern um eine dynamische menschliche Wirklichkeit.

«...aber die diskriminierende Lehre ändert er nicht.»

Wo bleibt denn der Aufschrei der Moraltheologie? Ja, wir werden da aktiver werden müssen. Bedenken Sie, dass die Kirchenleitung die Moraltheologie lange Zeit gefangengenommen hatte in der Rolle, einfach nur Übersetzerin der kirchlichen Lehre zu sein, nicht Mit-Gestalterin. Theologie war zudem über Jahrzehnte in Angst erstarrt, weil Theologinnen und Theologen bestraft wurden, wenn sie kritisch vorausdachten.

Von wann stammt eigentlich diese offizielle Lehre der Kirche zu Sexualität? Ein konkretes Datum lässt sich nicht sagen, sie hat sich immer entwickelt. Leider gab es auch sehr ungute Einflüsse, die Eingang in die Lehre fanden, denken wir nur an die augustinische Körperfeindlichkeit. Hingegen flossen neuere Erkenntnisse der Sexualforschung oder der Psychologie noch überhaupt nicht ein. In den vergangenen Jahrhunderten wurde diese Lehre leider immer ‘konkretistischer’ bis dahin, dass sie genau bestimmen wollte, was Menschen im Schlafzimmer zu tun und zu lassen hatten. Die Gegenreformation und das Erste Vatikanische Konzil waren in dieser problematischen Entwicklung wichtige Meilensteine.

Spielen Sie auf die Theologen-Verfolgung unter Kardinal Ratzinger und Papst Johannes-Paul II. an? So drastisch würde ich es nicht formulieren, aber ja, da lastet schon noch eine Hypothek auf uns. Theologie muss wieder lernen, dass sie etwas zu sagen hat und so auch Veränderung bewirken kann. Was raten Sie Seelsorgenden in der Praxis? Hört auf die tiefsten Impulse des biblischen Glaubens; habt das Ohr bei den Menschen, für die ihr da seid; habt keine Angst vor der Hierarchie; hofft auf die dynamische Kraft des Geistes Gottes.

Lesetipp «Daniel Bogner: Ihr macht uns die Kirche kaputt… … doch wir lassen das nicht zu! Verlag Herder 2. Auflage 2019.

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Für mich stellt der Verhaltenskodex einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Er ist sicher nicht das Ende, sondern vielmehr der Anfang eines tiefgreifenden Prozesses, der durch authentische Präventionsarbeit und Nulltoleranz gekennzeichnet ist. Ich bin froh für eine Kirche zu arbeiten, die eine Kultur der Offenheit, der Transparenz und der gemeinsamen Verantwortung fördert und konsequent lebt. Norbert Nagy Leiter jenseits IM VIADUKT

Im Kodex ist der Machtmissbrauch sehr weit gefasst. Das ist an sich richtig, hat aber den Nachteil, dass der sexuelle Missbrauch fast verschwindet unter allen möglichen Missbräuchen. Mir wäre ein Papier lieber gewesen, das sich auf sexuelle Ausbeutung konzentriert, denn diese wollen wir zuallererst verhindern. Der komplexe Text ist zudem für Mitarbeitende mit fremder Muttersprache kaum zu verstehen. Gisela Tschudin Pfarreibeauftragte St. Martin Zürich


Der Verhaltenskodex wiederspiegelt für mich ein zeitgemässes Menschenbild. Ich bin froh und erleichtert, dass unser Bistum auf so einfühlsame und doch klare Weise kommuniziert. Dass Missbrauch verhindert werden muss, sind wir uns wohl alle einig. Ich verstehe den Kodex als ein Präventionsinstrument, das uns als Hilfe zur Seite gegeben wird und zur Diskussion anregen soll.

Schon dass es den Verhaltenskodex überhaupt gibt, ist für mich ein wichtiges Zeichen. Er behandelt das Thema Machtmissbrauch in einer hilfreichen, wohltuenden Breite. Aber genauso wichtig ist der Begleitbrief, in dem die Umsetzung des Kodex festgelegt wird. Damit wird sichergestellt, dass der Kodex diskutiert, integriert und gelebt wird und nicht einfach als schöne Publikation im Büchergestell landet. Roger Stupf 2PYJOLUWÅLNLWYpZPKLU[ :[pMH

Natascha Rüede Leiterin Jugendseelsorge

Was bedeutet der Verhaltenskodex für mich?

Die Massnahmen, um die Opfer von Missbräuchen zu schützen, sind richtig. Der Verhaltenskodex schärft einerseits das Bewusstsein im Umgang mit Missbräuchen, andererseits schafft es auf der menschlichen Ebene Distanzierung. So entstehen sicher Situationen, wo man sich dann eher als ein Roboter verhalten muss oder gar um die Hilfe anderer bittet, um zu trösten. Jedoch schützt der Verhaltenskodex meine Privatsphäre! Im Bereich der Beichte ist eine Klärung der Bischofskonferenz notwendig, da einige Interpretationen kursieren - ein Dialog wird sicher Klärung geben. Benignus Ogbunanwata Pfarrer Pfungen

Für uns als Anstellungsbehörde bietet der Verhaltenskodex ein hilfreiches Arbeitsinstrument. Das Ziel der Kirchgemeinde Hausen-Mettmenstetten ist es, eine Transparenz zu schaffen. Denn der Schutz vor sexuellem und spirituellem Missbrauch ist ein wichtiges Thema und muss daher von allen Personen und Organisationen mitgetragen werden. Sabrina Muster-Duss Präsidentin / Personalverantwortliche Kirchgemeinde Hausen-Mettmenstetten

In Bezug auf den Verhaltenskodex, dessen Erscheinen ich grundsätzlich begrüsse, ist vermutlich noch nicht das letzte Wort gesprochen. Erst wenn das der Fall ist, werde ich mich gerne dazu äussern. Auch öffentlich. Patrick Lier Pfarrer Wetzikon

Der Verhaltenskodex ist für mich in meiner vielseitigen Rolle als Stellenleiterin ein wegweisendes Instrument. Nicht nur gegenüber meinem Team, auch gegenüber unseren Azubis fühle ich mich verpflichtet, meine Haltung, mein Denken regelmässig zu reflektieren. Ein wachsames Zuhören ohne zu schubladisieren und eine Gesprächsführung ohne Machtgehabe schätze schlussendlich auch ich als kirchliche Mitarbeiterin. Gertrud Schuster Leiterin Fachstelle für Religionspädagogik

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Verhaltenskodex – wie weiter? Der Verhaltenskodex soll im kirchlichen Leben implementiert werden. Die Präventionsbeauftragten Karin Iten und Stephan Loppacher erläutern die nächsten Schritte. Wer bietet die Schulungen an? Wir als Präventionsbeauftragte in Kooperation mit der Fachstelle Limita.

Wichtig sind: 1) Selbstreflexion: Jede Person nimmt den Kodex als Ball zu sich und setzt sich damit auseinander. 2) Viel Dialog im Team oder mit Kollegen und Kolleginnen. Die orangen Kästchen im Kodex wollen dazu anstossen. 3) Führungsgespräche z.B. in Fördergesprächen, zu Punkten, die nicht verstanden oder nicht geteilt werden. 4) Dialogrunden und Schulungen, die durch die Präventionsbeauftragten moderiert werden.

Wann finden die Schulungen statt? Es gibt einerseits die Präventionsschulungen am 8. September, 28. September und 25. November. Zusätzlich laden wir zu halbtägigen Dialogrunden ein – Infos dazu rechts in der separaten Box.

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Wer übernimmt dafür die Kosten? Die Kantonalkirche Zürich - wie auch die entsprechenden Stellenprozente in der Prävention ohnehin.

Wie lange dauert dieser Implementierungsprozess? Da Seelsorge und kirchliche Arbeit allgemein immer Risiken mit sich bringen werden, muss diese Arbeit dauerhaft gestaltet werden. Prävention ist eine Permanentleistung. Das gilt erst recht für den Kodex als Herzstück der institutionellen Prävention. Die Umsetzungsphase ist sozusagen eine «Never ending story», die auch für ein konkretes Team oder eine Kirchgemeinde nie einfach abgeschlossen ist. Die Organisation eines Lagers, neue Seelsorgeangebote oder personelle Veränderung bleiben Chance und Herausforderung, sich immer wieder neu mit Prävention zu beschäftigen.

Ist der Verhaltenskodex nur für die kirchlichen Mitarbeitenden in der Seelsorge, oder für alle Angestellten der Kirche verpflichtend? Der Kodex ist für alle verpflichtend – Führungspersonen inklusive. Je mehr Macht, desto mehr darf erwartet werden. Sitzen dann Seelsorgende und Sigristen, Katechetinnen und Organisten, Abwarte und Kirchenpflegen alle im gleichen Kurs, oder wird es für jede Gruppe eigene Kurse geben? Wir haben uns bewusst für gemischte Gruppen entschieden zwecks Diversität, die immer auch anregend ist, arbeiten jedoch im Rahmen der Veranstaltungen auch in Untergruppen nach Berufsfeldern. Für die Grundschulungen bieten wir für Behörden und Angestellte getrennte Schulungen an. Zudem ist es auch möglich, uns für spezifische Gruppen (z.B. Spezialseelsorge, Jugendarbeit o.ä.) anzufragen.


Gilt die Unterschriftspflicht auch für gewählte Behörden wie Kirchenpflegen, Synode, Synodalrat oder Rekurskommission? Aus unserer Sicht ist der Kodex auch für Behördenmitglieder relevant, da sie sich, insbesondere in Personalfragen, auch in Machtpositionen befinden und sensible Entscheidungen treffen. Eine verbindliche Unterschrift kann nur die jeweils zuständige staatkirchenrechtliche Instanz beschliessen und einfordern. Wir empfehlen dies klar. Es geht um das gemeinsame Einstehen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Macht.

Der Verhaltenskodex (VK) soll von allen kirchlichen Mitarbeitenden unterzeichnet werden. Was leiste ich eigentlich mit meiner Unterschrift: dass ich den Inhalt des VK zur Kenntnis genommen habe, oder dass ich mit jedem Buchstaben im VK einverstanden bin? Dass ich die Haltung des Kodex mittrage und bereit bin, mich transparent und lernend einzubringen. Mit jedem Wort muss ich nicht einverstanden sein – aber ich muss mich dazu in einen konstruktiven Dialog im Team und mit der Führung einlassen. Für individuelle Absprachen dazu braucht es ein klares gemeinsames und transparentes Commitment, kein intransparentes Verwischen.

Wer kontrolliert, ob ich unterschrieben habe? Die vorgesetzte Person.

Was passiert, wenn ich nicht unterschreibe? Die Linienvorgesetzte Person muss dann das Gespräch suchen, um zu klären, weshalb eine Unterschrift pauschal verweigert wird. Bei Interpretationsfragen oder Missverständnissen helfen wir gerne weiter. Es liegt wohl im Ermessenspielraum der vorgesetzten Person, ein gewisses Zeitfenster einzuräumen, bis die Unterschrift eingefordert wird. Die Entscheidung einfach auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben kann es aber nicht sein. Es kann auch hilfreich sein, mit anderen ins Gespräch zu kommen, beispielsweise bei Dialogrunden oder Schulungen der Prävention.

Wird jetzt bald jede Diözese einen eigenen Verhaltenskodex publizieren, oder gibt es eine Koordination? Der Kodex des Bistums Chur kann gerne von anderen Regionen übernommen werden. Wir empfehlen dazu einen partizipativen Prozess der Adaption, keinesfalls ein simples Abschreiben. Andere Bistümer haben bereits ihr Interesse angemeldet.

Einladung zu Dialogrunden Müssen die Kirchenpflege oder der Synodalrat als arbeitsrechtliche Anstellungsbehörden die Verweigerung einer Unterschrift sanktionieren? Oder ist es bei den Seelsorgenden mit einer Beauftragung der Bischof bzw. der Generalvikar? Der Kodex darf nicht zum bürokratischen Machtinstrument verkommen. Es braucht klare und lösungsfokussierte Führungsgespräche. Zuständig dafür sind in erster Linie die jeweiligen Linienvorgesetzten. Sanktionen sind die ultima ratio und müssen immer verhältnismässig sein. Es ist z.B. was völlig anderes, ob eine Reinigungskraft unsicher ist, ob sie unterschreiben will, oder ob ein Jugendarbeiter oder eine Gemeindeleiterin das partout nicht macht. Der Kern des Problems ist ja nicht die verweigerte Unterschrift, sondern die damit zum Ausdruck gebrachte Haltung. Wenn sich jemand definitiv nicht auf die Grundhaltungen und Qualitätsstandards des Verhaltenskodex verpflichten will, müssen sich die zuständigen Verantwortlichen im dualen System fragen, ob sie das Risiko eingehen dürfen, diese Person weiter zu beschäftigen.

Am 5. April haben Bischof, Generalvikare und Verantwortliche der Kantonal- und Landeskirchen den «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht» unterzeichnet und erklärt, dass dieser künftig ein zentrales Instrument zur «Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung» ist. Wir laden interessierte Führungspersonen und Mitarbeitende zu Gesprächsrunden zum Verhaltenskodex ein. Zur Verfügung stehen vier erste Auswahldaten: 24. August, 09.00 Uhr und 14.00 Uhr 23. September 9.00 Uhr und 14.00 Uhr Die Dialogrunden finden in der Paulus Akademie statt. Weitere Infos im Flyer, der dieser Ausgabe beiliegt. Wir freuen uns, wenn Sie davon regen Gebrauch machen. Raphael Meyer, Synodalrat Luis Varandas, Generalvikar

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Engagiert

«Das Komponieren wäre mir wichtig.» Stephan Lauffer

An neuen Musik- und Theaterprojekten interessiert: Stephan Lauffer, Chorleiter in der Pfarrei Maria-Frieden Dübendorf. -V[V! a=N

Am 21. Mai dieses Jahres haben wir 12 Stunden lang in ganz Dübendorf Musik und Konzerte angeboten – es war der erste «Cantars-Kirchenmusiktag», den wir in der Pfarrei und mit anderen Partnern hier in Dübendorf veranstaltet haben. Das war schon etwas Spezielles, wenn 150 Mitwirkende so lang musizieren. Die Idee für den «Cantars»-Tag kam von der Kirchenchor-Präsidentin Luzia Stoller. Der sollte schon vor der Coronakrise schweizweit stattfinden, was die Pandemie aber vereitelte. Wir wollten dieses Jahr den Tag unbedingt durchführen und haben das unabhängig von der schweizweiten Aktion gemacht. Das traf auf grosses Echo bei den verschiedenen Musikgruppen in

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ganz Dübendorf. Bei so einer übergreifenden Idee hat sich die Stadt den dörflichen Charakter bewahrt. Alle wollten mitmachen und auftreten. Engagierte fürs OK zu finden war schon etwas schwieriger. Aber drei Sängerinnen und Sänger aus dem Chor der Pfarrei Maria-Frieden, den ich seit bald 20 Jahren leite, sind hier eingesprungen. Ganz speziell war für mich, dass ich an diesem Tag mein eigenes Werk aufführen konnte. Entstanden ist das Stück am Anfang der Pandemie. Nachdem ich diesen schönen Segenstext von Hildegard von Bingen gelesen hatte, schrieb ich los. Mein Chor war zunächst etwas zurückhaltend, weil es im Stück - obwohl im tonalen Bereich angesiedelt -

modernere Klänge und ungewohnte Akkordkombinationen gibt. Nach der Aufführung erhielt ich dann zahlreiche sehr positive Reaktionen. Eine Frau hat gesagt, dass sie nun die Texte von Hildegard von Bingen lesen möchte. Das hat mich gefreut! Jetzt habe ich kaum mehr Zeit, etwas zu komponieren, das geht im Alltag verloren. Aber eigentlich wäre mir das Komponieren sehr wichtig.

Stephan Lauffer hat eine eigene Website: www.musik-und-buehne.ch


Unsere Kirche

SommerAusflugtipp Kulinarik – Kultur – Keller Die Tradition klösterlicher Gastfreundschaft wird neu interpretiert: Während der Küchenchef den Kochlöffel schwingt, hält der Dirigent den Taktstock in die Höhe. Im Koster Fischingen ist nicht nur Gott, sondern auch der Genuss zuhause. Der gedeckte Tisch wird zum Ort der Begegnung, genussvolles Tafeln wird zum Ausdruck barocker Lebensfreude. Und nach dem Blick in den Barriquekeller geht’s in der ersten und einzigen Schweizer Klosterbrauerei zur Degustation hochwertiger Biere. Die Marke PILGRIM steht als Referenz an die ungezählten Pilger, die in den letzten Jahrhunderten auf dem Jakobsweg den Weg nach Fischingen fanden. Kloster Fischingen, 8376 Fischingen, 071 978 72 20, info@klosterfischingen.ch, www.klosterfischingen.ch

Buchtipp «Wir haben einfach gemacht!» Im Buch lässt Hella Sodies, Co-Gemeindeleiterin und Mitherausgeberin des Werks, Gemeindeangehörige die Pfarreigeschichte aus heutiger Perspektive reflektieren. Die geschichtliche und pastoraltheologische Einordnung des damaligen Geschehens leistet der Churer Pastoraltheologe Manfred Belok. 2022, 320 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen und Fotografien von Armando Morgante, CHF 36.80 Theologischer Verlag Zürich, NZN bei TVZ

Luzia Züger, Sekretärin beim Synodalrat, hat’s mit dem Fussball. -V[V! a=N

Mein Hobby Der FC Zürich ist Schweizer Meister. Luzia Züger hat mitgefeiert. «Mein erstes FCZ-T-Shirt erhielt ich zur Firmung. Alle Mitschüler in meiner Klasse waren für den Grasshopper Club. Vielleicht aus Trotz beschloss ich, künftig in der Südkurve für den FCZ zu fanen und mitzufiebern. Beim ersten Match mit 16 musste dann meine Schwester mit. Heute ist es eine Herzensangelegenheit, mit einer Saisonkarte etwas gelassener auf der Haupttribüne live dabei zu sein. Ich gehöre zu einer grossen Fussballfamilie, bin Teil eines «Büezer-Clubs» mit eigener Nachwuchsförderung. Meine beiden Töchter teilen das Hobby mit mir und leiden mit, wenn es dem FCZ nicht so läuft. Als Frau beim Thema Fussball mitreden zu können, tut gut und öffnet mir Türen, wenn ich als Freiwillige im Primero und auf der Gasse beim Verein Incontro von Schwester Ariane mit Randständigen unterwegs bin.» Pflegen auch Sie ein spezielles Hobby oder kennen Sie eine Kollegin, einen Kollegen, der davon erzählen möchte? Schreiben Sie uns auf credo@zhkath.ch

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Perspektiven

«Inklusion bedeutet, dass alle selbstverständlich dazugehören.»

Igor Lukenda, Leiter der Behindertenseelsorge der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. -V[V! (YUVSK 3HUK[^PUN

Die Behindertenseelsorge der Ka- rungen und Projekten z.B. im Rahmen der tholischen Kirche im Kanton Zürich fei- Firmvorbereitung werden Begegnungen ert dieses Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum. mit Menschen mit Beeinträchtigung erFür die Zukunft wünscht sich deren Lei- möglicht, um Ängste abzubauen. Nach der Anerkennung der Beter Igor Lukenda, «dass unsere Pfarreien selber so inklusiv werden, dass alle dazu- hindertenrechtskonvention im Jahr 2014 gehören und es uns nicht mehr braucht.» macht der Kanton mit den Aktionstagen Ihm ist bewusst, dass der Weg dahin noch «Zukunft Inklusion» diesen Sommer einen Schritt nach vorn. Die Behindertenseelweit ist. Das Verbindungsglied zwischen sorge beteiligt sich mit einigen Aktionen Dienststelle und Pfarreien sind die Inklu- an diesen Tagen gemeinsam mit Pfarreien, sionsbeauftragten. Sie sind Ansprechper- Institutionen und Organisationen. Das Jubiläumsjahr steht unter sonen für Menschen vor Ort und setzen dem Motto «50 Jahre - gemeinsam vielsich für ihre Anliegen ein. Vielfältige Angebote von Ferien- fältig bunt». Am 17. September um 10:30 Uhr wochen bis hin zum Pilgertag ermöglichen Menschen mit verschiedensten Be- findet in der Kirche Bruder Klaus in Züeinträchtigungen gemeinsame spirituelle rich mit Generalvikar Luis Varandas ein Festgottesdienst statt. Und am 3. NoErlebnisse. Durch «Mitenand-Gottesdienste» vember setzt eine Tagung in der Paulus entstehen in den Pfarreien oftmals neue Akademie den Schlusspunkt des JubiInitiativen für Inklusion. In Sensibilisie- läumsjahres.

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Die Behindertenseelsorge ist eine Fach- und Seelsorgestelle der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Gemäss den Leitworten «gemeinsam – barrierefrei – selbstbestimmt» bietet sie religiöse Begleitung für Menschen mit einer Behinderung und ihren Mitmenschen an. Durch Sensibilisierungen unterstützt sie Pfarreien bei Fragen zu Barrierefreiheit, Inklusion und Teilhabe. www.behindertenseelsorge.ch


Seelen-Nahrung

Von Herz zu Herz Von Susanne Altoè

«Es geht nicht mehr», schluchzt Frau Ems. Tränen tropfen in ihre Maske. «Ich kann jetzt gar nicht mehr mit ihm sprechen. Vorher habe ich ihm Fotos gezeigt von früher. Er hat nichts mehr erkannt, nicht die Familie, nicht unsere Reisen, nichts mehr! Und dann ist er plötzlich aggressiv geworden. Die Pflege meinte, es sei besser, wenn ich jetzt gehe. Aber er braucht mich doch jetzt ganz besonders…?!» Ein wenig höre ich noch zu, aber Frau Ems ist zu erschöpft und aufgewühlt. Jetzt erst mal heim, sich ausruhen. In ein paar Tagen wollen wir uns wieder sehen, zu dritt, bei ihrem Mann, auf der Demenzstation. Herr Ems spricht kaum noch ganze Worte. Lautmalerisch beschreibt er seine Wirklichkeit. Sein Blick entgleitet dem verängstigten Gesicht der Frau, mit der ihn über 50 Jahre Lebensweg verkitten. «Schau, da waren wir auf Malta, weisst Du noch?» sagt sie, als ich mich zu ihnen geselle. «Und das ist Freddy, dein Bruder.» Er starrt auf die Bilder, als ob er fliehen möchte vor der Konfrontation… «Haben Sie sich früher die Hand gehalten, als sie jung waren?», sage ich, als wir so zusammensitzen. Frau Ems runzelt die Stirn. Diese Frage will so gar nicht passen! «Manchmal.» Schliesslich legt sie das Album weg und nimmt seine Hand. Still sitzen wir da, sie beginnt, die Hand ganz leicht zu tätscheln. «Erinnern Sie sich ganz innerlich im Herzen, wie schön es war damals?» Die Tränen steigen wieder auf, aber sie lächelt. «Ja». – «Was meinen Sie, ob Sie von Herz zu Herz diese Erinnerung ihrem Mann kommunizieren können, ganz ohne Worte?» Frau Ems schliesst die Augen, weint und lächelt und tätschelt weiter.

Susanne Altoè ist Seelsorgerin PT .LZ\UKOLP[Zzentrum Dielsdorf und im PalliativCare-Team des Spitals (ɈVS[LYU H (

Auf einmal wendet sich Herr Ems ihr zu, ein tiefer, lichter Blick. «Peter?» und schon versinkt er wieder in seiner Welt. Ihr Atem geht tiefer. Still liegt ihre Hand in seiner, und nun ist er es, der unbeholfen tätschelt... «Sie haben sich verstanden?» höre ich mich sagen. «Ja», klingt es fast heiter. Und nun trifft auch mich sein klarer Blick. Er lässt mich strahlen wie bei einem unerwarteten Wiedersehen: «Sie verstehen sich?» Herr Ems drückt die Hand seiner Frau, schaut sie an und sagt: «Bis zum geht nicht mehr…!»

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Ausläuten

Fronleichnamsprozession in Dietikon 1925 Text: André Füglister, ehemaliger Synodalrat

Das Bild von 1925 zeigt die Fronleichnamsprozession in Dietikon, welche 1969 zum letzten Mal durchgeführt wurde. -V[V! 6Y[ZT\ZL\T +PL[PRVU

Im 13. Jahrhundert hatte die heilige Juliana von Lüttich eine Vision, nach der sie öffentliche Feiern des Altarssakraments forderte. Schon 1264 erhob Papst Urban die Feier zu einem Fest der Gesamtkirche. Im deutschen Sprachraum entwickelte sich rasch die Sakramentsprozession. Die Prachtentfaltung nahm zu, über der Monstranz trugen Würdenträger den ‘Baldachin’ (das Wort ist abgeleitet von ‘Bagdad’ und der feierliche Traghimmel war ein Relikt des östlichen Herrschaftszeremoniells). Musikanten begleiteten die Schritte der Betenden und dem Erlöser wurde mit Mörserdonner salutiert. Die Reformatoren lehnten diesen Pomp aufs Schärfste ab. So wurde die Fronleichnamsprozession in katholischen Stammlanden erst recht zu ei-

nem Auftritt der Selbstvergewisserung die Ungewissheit des Ertrages erlebt; und in der Diaspora Grund für Streit. gewieftere Zeitgenossen überschluDas Limmattal blieb konfessionell ge- gen indessen in der Mitte des Jahrhunmischt. Das Foto von 1925 in Dietikon derts bereits, was für ein Geldsegen auf zeigt im Mittelpunkt den frommen Akt, jedem Quadratmeter des Bauerwarim Hintergrund freilich distanzier- tungslandes ruhte. te Zuschauer. Die Lokalgeschichte be1969 wurde die Fronleichnamsrichtet von üblen Rempeleien an kirch- prozession in Dietikon letztmals durchlichen Festtagen. geführt, 1973 strich der Kanton Zürich Im benachbarten Spreitenbach die katholischen Feiertage. Im Kanton war ein Stationsaltar mitten in die wo- Aargau ist der Feiertag – meist ohne genden Getreidefelder des weiten Lim- Prozession – geblieben. mattales gesetzt; der Priester wandte Etwa gleichzeitig mit dem vordie Monstranz in alle Windrichtungen liegenden Foto setzte Meinrad Ingund mit den Worten a grandine, fulgu- lin in seinem Roman Die «Die Welt re et tempestatibus libera nos domine in Ingoldau» der katholisch geprägbat er den Herrn, unser künftiges Brot ten Bevölkerung von Schwyz ein hinvor Unwetter zu bewahren. Manch ei- tergründiges Denkmal und schloss das ner von den andächtigen Älteren hat- Werk mit einer eindrücklichen Schildete die Mühsal des Ackerbaues mit Zug- rung der Fronleichnamsfeier auf dem tieren, Pflug und Sense erfahren und Hauptplatz.


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