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Gastkommentar zu Islam-KonfliktenKonflikte tragen zum Zusammenhalt bei

Muslime beim Gebet in der Moschee: Anhand der Islam-Konflikte werden auch Themen ausgehandelt, die nicht nur sie betreffen.

Häufig ist der Islam in der Schweiz ein Konfliktthema, das stark polarisiert: So wird etwa darüber gestritten, ob es zulässig sein soll, in Schulen und Unternehmen ein Kopftuch zu tragen. Dort, wo muslimische Vereine ein neues Gebäude beziehen oder gar einen mit Kuppel und Halbmond erkennbaren Neubau errichten wollen, entzünden sich meist langjährige Auseinandersetzungen. Regelmässig widmen sich parlamentarische Vorstösse der Frage, wie muslimische Prediger stärker kontrolliert und besser ausgebildet werden können – so zuletzt eine im Nationalrat eingebrachte Motion, die nur noch Predigten in einer Schweizer Landessprache erlauben will. Und schliesslich ist der Islam auch ein beliebtes Diskussionsthema an Stammtischen und unter Bekannten.

Aus der Sicht eines oberflächlichen Dialogverständnisses könnte man meinen, dass solche Konflikte störend sind und möglichst schnell gelöst werden sollten. Es lohnt sich allerdings, erst einmal bei den Konflikten stehen zu bleiben und ihre Mechanismen genauer zu betrachten: Seit dem 11. September 2001 werden Islam-Konflikte durch Ereignisse im Ausland angestossen oder verstärkt. Anhand der Islam-Konflikte werden zudem Themen ausgehandelt, die nicht nur Musliminnen und Muslime betreffen: Wie vielfältig darf unsere Gesellschaft sein? Wer gehört dazu, wer nicht und aufgrund welcher Massstäbe? Was bedeutet Gleichberechtigung der Geschlechter, und wie soll diese vom Staat gesteuert werden? Welchen Stellenwert sollen religiöse Symbole und Gruppierungen in der Öffentlichkeit haben?

Konflikte bieten der Gesellschaft die Chance, sich an solchen zentralen Fragen abzuarbeiten. Nur indem sich die Gesellschaft Konflikten stellt und diese nicht ausblendet, kann sie sich weiterentwickeln. Zunächst bedeutet ein Konflikt, dass kritische Fragen geäussert werden dürfen und unterschiedliche Standpunkte existieren können, gerade auch im Hinblick auf Religionen, die die tiefsten Überzeugungen der Menschen zum Ausdruck bringen.

Demokratie beinhaltet Dauerstreit. Im Rahmen der Demokratie werden gegensätzliche Positionen diskutier- und verhandelbar. Feinde werden zu Gegnern, mit denen man gemeinsame Spielregeln teilt. Paradoxerweise gilt dabei: Je besser integriert eine Bevölkerungsgruppe ist, desto stärker ist sie auch in Konflikte eingebunden. So machen etwa Konflikte über einen Moscheebau Akteurinnen und Akteure sichtbar, die zuvor nicht Teil öffentlicher Debatten waren. Diese sind dann auch gezwungen, über ihre Anliegen und Absichten öffentlich Rechenschaft abzulegen. Auf diese Weise tragen Konflikte zum Zusammenhalt in einer pluralen Gesellschaft bei, indem sie sowohl Menschen als auch Streitfragen integrieren.

Konflikte haben aber auch ihren Preis. Oft beschränken sich gerade die Islam-Debatten auf ein «Reden über». Jeder ist dann ein kleiner Islamexperte, der es selbst am besten weiss, wie muslimische Normen zu verstehen sind und wie Musliminnen und Muslime ticken. Daher ist es keine Seltenheit, dass Betroffene wie muslimische Jugendliche, Frauen oder Imame überhaupt nicht zu Wort kommen. Ausserdem ziehen sich gerade manche hoch gebildete junge Musliminnen und Muslime von sich aus in geschützte Räume zurück. Sie sind der eingefahrenen Muster von Diskussionen über den Islam überdrüssig. Sie möchten sie selbst sein und nicht mehr als Projektionsflächen für Ängste und Erwartungen anderer dienen.

Vor diesem Hintergrund erweist es sich als unumgänglich, dass die ganze Gesellschaft an ihrer Konfliktfähigkeit arbeitet und ihre Verantwortung für eine faire Konfliktaustragung wahrnimmt: Wie können Konfliktgegenstände differenziert und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden? Wie lassen sich Blockaden und unkontrollierte Eskalationen vermeiden? Welche Kompromisse lassen sich erzielen? In einer Konfliktgesellschaft gehören Dialog und Konflikt untrennbar zusammen: Den anderen ernst zu nehmen bedeutet nämlich gerade auch, bereit zu sein, sich mit ihm zu streiten.

Hansjörg Schmid ist Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG) und Professor für Interreligiöse Ethik an der Universität Freiburg. Mit einem Team hat er das frisch erschienene Buch «Soziale Konflikte. Potenziale aus sozialwissenschaftlicher, islamischer und christlicher Perspektive» (TVZ-Verlag 2024) verfasst.

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