Publikationsdatum 02.09.2024
Nein, es entsteht kein sechster Ozean!
Ein kleines Erdbeben in der Welt der Geologie: Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme der Wissenschaftsgemeinschaft wird sich in der Afar-Senke in Äthiopien wohl nie ein tiefer Ozean entwickeln. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Team um eine Geologin und einen Geologen der Universität Freiburg. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Geology veröffentlicht und tragen zu einem besseren Verständnis der Entstehung ozeanischer Plateaus bei.
Anneleen Foubert und Valentin Rime vom Departement für Geowissenschaften der Universität Freiburg kennen das Afar-Dreieck wie ihre Westentasche, erforschen sie doch diese karge Region seit Jahren. Das Afar-Gebiet, vornehmlich für seine Fossilien bekannt – hier fand ein Paläontologenteam einst Lucy –, ist ein wahres Paradies für Geologinnen und Geologen. Sie können dort praktisch unter freiem Himmel geologische Prozesse beobachten. Die Region wird als Archetyp des Auseinanderdriftens der Kontinentalplatten angesehen. «Genau hier trennen sich die afrikanische und die arabische Erdplatte. Der Bruch ist deutlich zu sehen, wenn man das Rote Meer und den Golf von Aden auf der Karte betrachtet», erklärt Valentin Rime. In der Wissenschaft ging man bisher davon aus, dass diese Bruchbewegung (Rifting bzw. Riftbildung) zu einer schrittweisen Verdünnung der Erdkruste geführt hat – ähnlich wie Kuchenteig, der gedehnt wird. Ferner nahm man an, dieser Prozess bilde das Anfangsstadium der Entwicklung eines Ozeans. Neue Daten zu Struktur und Entstehung des Rifts bringen diese Theorie jedoch ins Wanken für diese Region. «Wir stellten fest, dass die Erdkruste dort viel dicker ist als anderswo am Roten Meer und am Golf von Aden und noch lange nicht dünn genug, um einen Ozean entstehen zu lassen», erklärt Valentin Rime. «Das machte uns stutzig, und wir suchten eine alternative Hypothese.» So kam es, dass die beiden Forschenden der Unifr ihre Aufmerksamkeit auf ozeanische Plateaus richteten, die eigentlich gar nicht Gegenstand ihrer Untersuchungen waren.
Wichtige Gebiete für die Entwicklung unseres Planeten
Die ozeanischen Plateaus werden erst seit den 1970er-Jahren erforscht. Es handelt sich dabei um ausgedehnte Gebiete, die knapp 3 Prozent der Erdoberfläche ausmachen. Sie besitzen eine dicke Kruste und liegen weit weniger tief als der sie umgebende Ozeanboden. «Ein gutes Beispiel ist Island, das sich auf einem der bekanntesten ozeanischen Plateaus befindet und eine Insel bildet, während der übrige Atlantik mehrere Kilometer tiefer liegt», führt Valentin Rime aus. Diese Gebiete spielen eine zentrale Rolle für die Meeresströmungen und die Artenverteilung. «Island stellte beispielsweise bis vor rund 40 Millionen Jahren eine Brücke zwischen Europa und Amerika dar. So konnten mehrere Arten von einem Kontinent zum anderen gelangen, obwohl es den Atlantik bereits gab», erklärt Anneleen Foubert, Professorin am Departement für Geowissenschaften. Die Freiburger Forschenden kamen aus all diesen Gründen zur Überzeugung, dass es sinnvoll sei, die Afar-Senke mit Island zu vergleichen – einer Region, die zudem den Vorteil hat, bereits gut erforscht zu sein.
Zur Untermauerung ihrer Hypothese konnten sie auf die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Florenz (IT), Southampton (UK), Derby (UK) und Wayne (USA) zählen. «Genau wie in der Afar-Region ist das ozeanische Plateau im Nordatlantik ein Gebiet, dessen Entstehung mit dem Auseinanderdriften tektonischer Platten zusammenhängt», erklärt Anneleen Foubert. «Wir wissen jedoch, dass die Erdkruste dort durch massive Magmaaufstiege (Hotspot) aus dem Erdinneren sehr dick – stellenweise über 30 Kilometer dick – geworden ist.»
Kein neuer Ozean
Wie Island und andere ozeanische Plateaus wurde auch die Afar-Senke durch massives Austreten von Lava vor rund 30 Millionen Jahren geformt. «Auch hier ist die Erdkruste über 25 Kilometer dick. Durch die frühzeitige, umfangreiche und anhaltende Magmazufuhr wurde ein Ausdünnen der Erdkruste trotz ihrer Dehnung verhindert. Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass dort ein Ozean entsteht», schlussfolgert Valentin Rime. Die Afar-Senke entspreche demnach eher dem frühen Entwicklungsstadium eines ozeanischen Plateaus wie Island. «Und dieser Unterschied hat sich wahrscheinlich auf die Evolution des Menschen ausgewirkt, denn unsere Vorfahren nutzten vermutlich diese fast vollständig zum Vorschein gekommene Region im Quartär, um aus Afrika auszuwandern», so Anneleen Foubert.
Die in der Fachzeitschrift Geology veröffentlichte Studie stellt zudem ein Modell dar, das zu einem besseren Verständnis der Bildung ozeanischer Plateaus beiträgt. Anneleen Foubert, Professorin am Departement für Geowissenschaften der Universität Freiburg, meint abschliessend: «Diese Entdeckung liefert uns massgebliche Informationen zu den geologischen Prozessen, die an der Entstehung solcher ausgedehnten untermeerischen Strukturen beteiligt sind.»
Central Afar: An analogue for oceanic plateau development, in: Geology. 2024 DOI: https://doi.org/10.1130/G52330.1