Publikationsdatum 20.09.2019

Grönland: Wegen des Klimawandels gelangt mehr Schmelzwasser ins Meer


Ein internationales Forscherteam, darunter Horst Machguth von der Universität Freiburg, hat aufgezeigt, dass der Klimawandel die Bildung und das Wachstum von Eisplatten begünstigt, die sich im Eisschild einnisten und verhindern, dass das Schneeschmelzwasser darin versickern kann. Dadurch verstärkt sich der Wasserabfluss, was längerfristig den Anstieg des Meeresspiegels zu beschleunigen droht. Ihre Beobachtungen wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Dieses Phänomen gewinnt in Grönland zusehends an Bedeutung: Es gibt immer mehr massive undurchlässige Eisplatten im Innern des Eisschilds. Dies führt dazu, dass das Eisschild an Porosität einbüsst und das Schmelzwasser nicht mehr absorbieren kann, sodass dieses ins Meer abfliesst. Laut einer unter Leitung der Universität von Boulder ausgeführten Studie, an welcher die Universität Freiburg beteiligt war, könnte das grönländische Schmelzwasser bis im Jahr 2100 einen Anstieg des Meeresspiegels von 74 mm verursachen.

Heute ist gemäss den Wissenschaftlern weniger als 1mm des globalen Anstiegs des Meeresspiegels auf diese Eisplatten zurückzuführen; dies könnte sich allerdings mit fortschreitendem Klimawandel ändern. «Sogar im Szenario eines nur leichten Temperaturanstiegs könnte sich die Ausdehnung der Abflussgebiete wegen dieser Eisplatten bis 2010 verdoppeln», erklärt Mike Mac Ferrin, der an der Universität von Boulder forscht.

Rapides Wachstum der Abflussgebiete
Im Jahr 2000 entsprach das grönländische Abflussgebiet noch der Fläche Polens (313 000 km2). Zwischen 2001 und 2013 hat sich dieses Gebiet um 65 000km2 vergrössert. Dies entspricht einem Wachstum von zwei Fussballfeldern pro Minute. Bis im Jahr 2100 könnten das Abflussgebiet im Zuge des Klimawandels und unter der Annahme eines moderaten Emissionsszenarios um weitere 270 000km2 wachsen, was der Fläche des US-amerikanischen Bundesstaats Colorado entspricht. In diesem Fall würden die Ozeane um 7 bis 33 mm ansteigen.

In einem Szenario mit mehr Treibhausgasemissionen könnte das Abflussgebiet um rund 696 000 km2 wachsen, was der Fläche von Texas entspräche und den Meeresspiegel um 17 bis 74 mm ansteigen lassen würde. Neben dem von den Eisplatten verursachten Abfluss tragen noch andere Faktoren zum Anstieg des Meeresspiegels bei, beispielsweise das Kalben der Eisberge.

Das Eisschild, ein immer weniger gut absorbierender Schwamm
Das grönländische Eisschild lässt sich mit einer gefrorenen Cremeschnitte vergleichen: Es ist mit Schmelzwasserseen gesprenkelt, jeden Winter fällt Schnee und aus den alten Schneeschichten bildet sich unter dem steigenden Druck nach und nach Eis. In den meisten Teilen Grönlands schmilzt der Schnee im Sommer nur teilweise und gefriert dann wieder im Innern der kompakten Schneeschichten in Form von kleinen Eislinsen, die zwischen 1 bis 5 cm dick sind. Früher konnte das Schmelzwasser dank der Durchlässigkeit des Firns zwischen den Eislinsen im Eisschild versickern und dort erneut gefrieren, ohne ins Meer zu fliessen.

Immer häufiger treten nun aber extreme Schmelzereignisse auf: Im Juli 2012 wurden über 97% der Oberfläche des grönländischen Eisschilds vom Schmelzen betroffen. Ein derartiges Ereignis war seit der Aufnahme der Satellitenbeobachtungen vor 33 Jahren noch nie beobachtet worden. Dieses Jahr war der Frühling in Grönland besonders warm und sonnig, was das Abschmelzen von 80 Milliarden Tonnen Eis zur Folge hatte. Ein Rekord! Unter dem Einfluss dieser aussergewöhnlichen Schmelzereignisse sind die Eislinsen zu riesigen Eisplatten von 1 bis 16 Metern Dicke zusammengewachsen. So entsteht direkt unter der Oberfläche des Eisschilds ein undurchlässiger Eispanzer. Als Folge davon kann das Schmelzwasser nicht mehr in die Tiefe versickern und fliesst daher oberflächlich ab, bis es schliesslich das Meer erreicht.

Feldbeobachtungen bestätigen frühere Annahmen
Bereits vor einigen Jahrzehnten hatten Forschende versucht, die Auswirkungen steigender Temperaturen auf das Schmelzwasser und den Firn in Grönland zu evaluieren.

Horst Machguth, Forschender an der Universität Freiburg, betont: «Interessanterweise werden die damaligen Annahmen, welche auf direkten Messungen und theoretischen Überlegungen beruhten, durch unsere Feldbeobachtungen weitgehend bestätigt.»

Es ist noch unklar, inwieweit die Eisplatten zum Meeresspiegelanstieg beitragen werden. Einige Millimeter oder mehrere Zentimeter? «Dies wird vom Ausmass des Klimawandels und damit schlussendlich von den Menschen abhängen», meint Mike Mac Ferrin abschliessend.