Biologie13.03.2018

Deformierte Frauenschädel sorgen für paläontologische Überraschung in Bayern


Paläogenomische Studie untersucht Hunneninvasion und weibliche Migration im Frühmittelalter Süddeutschlands und kommt zum Schluss: Die Bayerinnen und Bayern haben Vorfahren aus dem Schwarzmeerraum.

Nach dem Ende des Römischen Reichs und der Zeit der Völkerwanderungen folgt in Mitteleuropa die Periode des frühen Mittelalters. In Mitteleuropa wird diese Epoche gemeinhin mit verschiedenen barbarischen Stämmen, wie etwa Alamannen, Franken oder Langobarden in Verbindung gebracht. Welche Bevölkerungen populationsgenetisch tatsächlich hinter diesen Begriffen stecken, ist bislang aber nicht untersucht worden. Ein internationales Team mit Beteiligung von Freiburger Forschern um Prof. Daniel Wegmann hat nun Bevölkerungen untersucht, die in der Zeit um 500 n. Chr. auf dem ehemaligen Gebiet des Römischen Reichs in Bayern lebten und ist zu verblüffenden Resultaten gekommen.

Hinweise auf die Hunnen
Die Forschenden analysierten in einer interdisziplinären Studie die alten Genome von etwa 40 mittelalterlichen Menschen aus Süddeutschland. Obwohl das Erbgut über eine solch lange Zeit erstaunlich gut in den Knochen erhalten bleibt, erfährt es spezifische Schäden, welche gerne mit echten Mutationen verwechselt werden. Die Bioinformatiker der Uni Freiburg haben gezielte Methoden entwickelt, um solche Schäden in den genetischen Analysen zu berücksichtigen. «Unsere Methoden erlauben es, die Verwandtschaft dieser alten Skelette zu modernen Europäerinnen und Europäern genau zu beziffern», erklärt Daniel Wegmann. Während ein Grossteil der alten Bayern genetisch wie Mittel- beziehungsweise wie Nordeuropäer aussieht, fällt eine Gruppe von Individuen völlig aus diesem Raster. Diese Gruppe war zuvor schon durch die Verformungen ihrer Schädel aufgefallen. Es ist bekannt, dass solche Deformationen in unterschiedlichen Bevölkerungen und zu unterschiedlichen Zeiten vorgenommen wurden, um dem Schädel eine charakteristische Turmform zu verleihen. Über den Ursprung des Brauchs in Europa gab es bislang nur Vermutungen. «Für viele galt die Hypothese, dass die Hunnen die Tradition der Schädeldeformation aus Asien nach Ost- und Mitteleuropa gebracht haben», erklärt Dr. Brigitte Haas-Gebhard der Archäologischen Staatssammlung München.

Frauenpower im Mittelalter
Die historisch-genetischen Untersuchungen ergaben jedoch, dass es sich bei den mittelalterlichen Personen mit Schädeldeformation um Frauen handelte, die um 500 n. Chr. aus dem Schwarzmeerraum in die bayerischen Siedlungen migriert waren. «Zwar gibt es auch Hinweise auf Einflüsse aus Asien, aber unsere Herkunftsanalysen zeigen, dass die Frauen mit deformiertem Schädel heutigen Bulgarinnen und Rumäninnen am ähnlichsten sind», stellt Wegmann fest. Dabei unterschieden sich diese Frauen nicht nur durch ihre deformierten Schädel, sondern sie fielen auch durch andere äusserliche Merkmale auf, etwa durch eine deutlich dunklere Haar- und Augenfarbe. Die grosse Mehrheit der anderen Bayern war blond- und blauäugig, so wie man es heute allenfalls in Skandinavien findet. Nur wenig später lassen sich zwei Personen nachweisen, die ihre nächsten genetischen Verwandten unter heutigen Griechen oder Türken besitzen. Und wieder waren es Frauen. «Es ist dies ein einmaliges Beispiel von weiblicher Mobilität, die grössere Kulturräume überbrückt», sagt Populationsgenetiker Joachim Burger der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. «Wir müssen damit rechnen, dass noch viele weitere, bislang ungeahnte bevölkerungsdynamische Phänomene an der Genese unserer frühen Städte und Dörfer mitgewirkt haben.»

Neben den Freiburger Bioinformatikern gehörten zu dem Team auch Kollegen aus Deutschland, den USA und Großbritannien, darunter die Anthropologin Dr. Michaela Harbeck von der Staatssammlung für Anthropologie München, Dr. Brigitte Haas-Gebhard von der Archäologischen Staatssammlung München, sowie der Populationsgenetiker Prof. Dr. Joachim Burger von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Weiterführende Links
Video: The Palaeogenetics Lab at Mainz University (2013)
Studie: Proceedings of the National Academy of Sciences, 12.3.2018, Krishna Veeramah et al., Population genomic analysis of elongated skulls reveals extensive female-biased immigration in Early Medieval Bavaria, Proceedings of the National Academy of Sciences, 12.3.2018

Titelbild
Stark, mittel und nicht deformierte Schädel (von links nach rechts) aus den frühmittelalterlichen Fundplätzen Altenerding und Straubing. Copyright: Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München.