«Intégr’âge»: Sollte die integrative Medizin einen Platz in der geriatrischen Krankenhausversorgung haben?
Jade Bonanno, Forscherin am Institut für Hausarztmedizin, untersucht die Durchführbarkeit der Integration komplementärer Therapien in die geriatrische Versorgung im Krankenhaus. Ihre Studie, die gleichzeitig auf der Akutstation für ältere Menschen des Ensemble Hospitalier de la Côte und im Geriatrie- und Rehabilitationsdienst der Universitätskliniken Genf durchgeführt wird, könnte einen ersten Schritt zur Einbindung integrativer Medizin in die stationäre Versorgung darstellen.
Parallel zu ihrer Doktorarbeit führt Jade Bonanno seit einem Jahr eine explorative Studie über die Durchführbarkeit der Integration komplementärer Therapien in die geriatrische Krankenhausversorgung durch. Finanziert von der Fondation Leenaards, geht diese Studie auf eine Beobachtung von Dr. Nicole Doser, Chefärztin des Medizinischen Dienstes des Ensemble Hospitalier de la Côte (EHC), zurück: Unabhängig von der Ursache der Krankenhausaufnahme weist fast die gesamte ältere Patient*innenschaft ein oder mehrere gemeinsame Symptome auf, nämlich Schmerzen, Ängste oder Schlafstörungen. Um ihr Wohlbefinden und ihre Erfahrung im Krankenhaus zu verbessern, wollte die Ärztin den Patientinnen und Patienten zusätzlich zu ihrer Hauptbehandlung verschiedene Therapien anbieten, um diese Symptome zu lindern. Ihr Ziel war es also, der integrativen Medizin die Tür zu öffnen, die darin besteht, konventionelle Behandlungen mit komplementären Therapien zu kombinieren.
So entstand das Projekt «Intégr’âge», das von Jade Bonanno am Institut für Hausarztmedizin der Universität Freiburg durchgeführt wird. Es läuft seit Juli 2024 und findet in zwei geriatrischen Einrichtungen statt: der Akutstation für ältere Menschen des EHC in Morges und dem Geriatrie- und Rehabilitationsdienst der Universitätskliniken Genf. An jedem Standort fungiert eine Koordinatorin als Schnittstelle zwischen Therapeutinnen und Therapeuten, Pflegepersonal und Patientinnen und Patienten und sorgt für die reibungslose Umsetzung der angebotenen komplementären Therapien. Acht Therapien wurden aufgrund ihres sehr geringen Risikos von Nebenwirkungen und des Fehlens von Wechselwirkungen mit Medikamenten ausgewählt – ein entscheidendes Kriterium angesichts einer meist polypharmazeutisch behandelten Patientengruppe. Es sei jedoch betont, dass die komplementärmedizinischen Therapien im Rahmen dieser Studie nicht die vom ärztlichen Team verordneten konventionellen Behandlungen ersetzen.
Die Patientinnen und Patienten in ihren Genesungsprozess einbeziehen
Die aktive Beteiligung der Patientinnen und Patienten ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Studie. Daher nehmen sich die Koordinatorinnen die Zeit, ihnen individuell die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten vorzustellen, aus denen sie wählen können. «Es ist sehr wichtig, dass die Patientinnen und Patienten aktiv an ihrer Behandlung mitwirken», erklärt Jade Bonanno. «Dieses Projekt ist so gestaltet, dass es ihre Präferenzen berücksichtigt, basierend auf ihrem Verständnis der eigenen Symptome und der Möglichkeiten, diese zu behandeln.» Um ihnen bei der Entscheidung zu helfen, verteilen die Koordinatorinnen den Teilnehmenden Informationsbroschüren zu den Therapien sowie ein Entscheidungstool, das die für jedes Symptom einsetzbaren Ansätze aufführt. Nach Genehmigung durch die Ärztin oder den Arzt wird die gewählte Therapie je nach Art von einer Therapeutin oder einem Therapeuten, einer Pflegekraft oder der Koordinatorin selbst durchgeführt.
«Es muss bedacht werden, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt und die Wirkungen der angebotenen Behandlungen nicht systematisch mit denen konventioneller Behandlungen oder mit keiner Behandlung (Placebo) verglichen werden», betont die Forscherin. Darüber hinaus hat jede Therapie ihre eigenen Besonderheiten, die einen Vergleich erschweren, weshalb die Studie nicht deren Wirksamkeit untersucht, sondern die Umsetzbarkeit ihrer Integration in die stationäre Versorgung. Für diese Analyse sammelt Jade Bonanno verschiedene Daten mittels Fragebögen, die vom Pflegepersonal zu drei Zeitpunkten der Studie sowie von den Patientinnen und Patienten zu Beginn, am Ende und zwei Monate nach dem Krankenhausaufenthalt ausgefüllt werden. Die bisherigen Antworten der 85 Teilnehmenden der Studie zeigen ihre Begeisterung über das Angebot komplementärer Therapien, insbesondere zur Linderung von Schmerzen – einem Symptom, das am häufigsten genannt wurde.
Eine Öffnung für die integrative Medizin im Krankenhaus
Auch beim Pflegepersonal wurde die Studie sehr positiv aufgenommen, wobei die grosse Mehrheit bereits vor Beginn des Projekts eine positive Einstellung zur integrativen Medizin hatte. «Sie halten es für wichtig, komplementäre Therapien im Krankenhaus zu integrieren», berichtet Jade Bonanno, «denn diese ermöglichen es, ein Vertrauensverhältnis zu den Patientinnen und Patienten aufzubauen, ihre Bedürfnisse und Überzeugungen zu respektieren, den Behandlungsprozess zu erleichtern und möglicherweise die Medikation zu reduzieren.» Einige Personen hatten bereits eine Ausbildung in diesem Bereich absolviert und freuen sich darauf, ihre Kompetenzen anzuwenden.
Die vorläufigen Ergebnisse der Studie «Intégr’âge» deuten darauf hin, dass eine dauerhafte Einführung integrativer Versorgung im geriatrischen Krankenhauskontext möglich ist. Jade Bonanno hofft, dass die im Projekt eingeführten Massnahmen auch nach dem Ende der Studie in beiden beteiligten Einrichtungen fortgeführt werden können. «Ich denke, das wird der Fall sein», sagt sie, «auch wenn die Anwesenheit der Koordinatorinnen derzeit noch eine Voraussetzung dafür ist, dass es funktioniert.»
Im weiteren Sinne wäre es das gewünschte Ergebnis dieser Studie, dass sie den Weg für ähnliche Projekte in anderen Abteilungen ebnet, indem sie zeigt, dass die integrative Medizin ihren Platz im Krankenhaus haben kann. «Wir wissen, dass die Schweizer Bevölkerung gegenüber komplementären Therapien recht aufgeschlossen ist», erklärt die Wissenschaftlerin, «warum sie also nicht auch im Krankenhaus anbieten?» Diese Idee ist umso relevanter, da die Komplementärmedizin durch die umfassendere Berücksichtigung der Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten das Potenzial hat, deren Genesung zu beschleunigen und somit die Kosten konventioneller Behandlungen zu senken. «Man ist ein Mensch, bevor man eine Krankheit ist», schliesst Jade Bonanno, «deshalb halte ich es für sinnvoll, eine Versorgung anzubieten, die über die Störung selbst hinausgeht.»
Text: Léa Chabaud
Übersetzung: Alicia Hayoz
Bannerbild: fairpharma von
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