Paul in History & Theology

Ein jüdischer Denker erfindet die christliche Theologie. N.T. Wright stellte sein monumentales Paulusbuch in Freiburg hunderten von Zuhörern vor 

N.T. Wright

Freiburg / Schweiz 10. – 13.6.2014: Die Aula Magna der Universität gefüllt mit 400 – 500 Zuhörern, die anspruchsvollen Vorträgen zuhören. Wer jetzt an Juristen, Betriebswirte oder Biologen denkt, liegt falsch. Auch kein grosser Fachkongress findet hier statt. Es sind an Theologie, genauer an biblischer Exegese interessierte Christinnen und Christen, die den Saal füllen und einem wunderbar klaren, stilistisch brillanten, immer wieder mit Humor durchsetzen Oxfordenglisch lauschen. 

Der Vortragende: Ein ehemaliger anglikanischer Bischof (of Durham), vorher und nachher Professor der Theologie (in Oxford und St. Andrews) und einer, der in der anglophonen Welt längst als einer der führenden Exegeten gilt, darüber hinaus aber Bestseller schreibt, die dort in jeder Buchhandlung liegen – auch „weltlichen“. Nicholas Thomas (Tom) Wright heisst er, ein Name, der nunmehr auch im deutschsprachigen Raum allmählich nicht mehr nur den Kennern bekannt ist. Sicher kein Zufall, dass mancher seiner Bestseller im Titel an einen anderen höchst erfolgreichen christlichen  Schriftsteller des 20. Jahrhunderts erinnern, an C.S. Lewis („ Suprised by Joy“). Daneben finden sich akademische „Wälzer“, die es nicht unter vielen hundert Seiten „tun“ und dennoch mit Spannung, ja mit Genuss gelesen werden können. Sie zeigen neben stupender Gelehrsamkeit – Beherrschung von Literatur, Quellen (frühjüdische wie hellenistische), methodische Wachheit – eine typische Stärke der angelsächsischen Geschichtsschreibung: die Fähigkeit zur grossen Synthese, zum grossen Bild (verbunden mit Lesbarkeit und Humor), das seine Kraft durch seine Fähigkeit erweist, das Datenmaterial der Quellen zu integrieren, sich daran aber auch bewähren muss. Dahinter liegt natürlich jahrzehntelanges, intensives, schweisstreibendes (wie beim Bergwandern) Detailstudium. Aber „oben angekommen“, öffnet sich die Weite eines wunderbaren Panoramas.

Die zentrale These

Dabei lautet seine Kernthese: Paulus ist ein durch und durch jüdischer Denker und er bleibt es. Denn er bewegt sich – auch und gerade nach seiner Bekehrung – in der Erzählwelt der jüdischen „story“, wie sie in vielen Varianten in der jüdischen Welt des ersten Jahrhunderts präsent ist. Diese Erzählwelt wird durch drei grundlegende Faktoren bestimmt, die miteinander verknüpft sind und interagieren, unablösbar eingebettet in eine Praxis, in der sie mehr sind als theoretische Behauptungen: Monotheismus, Erwählung und Eschatologie. Das Neue am Evangelium des Paulus liegt nicht darin, dass er diese Erzählwelt verlässt, sondern dass er sie im Licht des Auferstehungsereignisses und der Gabe des Geistes radikal neu formt. Er strukturiert sie neu um den gestorbenen und auferstandenen Messias und um den Heiligen Geist in denen Gott seine Bundestreue (faithfullness, dikaiosyne, Gerechtigkeit) eschatologisch realisiert und darin ihr Menschheit und Schöpfung erneuerndes Ziel findet. Dies aber ist die Geburtsstunden der christlichen Theologie.

Die neue Perspektive

Will man nun die Paulus-Deutung, die N.T. Wright seinen Freiburger Zuhörern und den Lesern seines Buches vorschlägt, insgesamt etwas in die Forschungslandschaft einordnen, dann kann man einen Namen aufgreifen, den Ulrich Luz in einem Statement bei der Tagung genannt hat: Es ist der Name Albert Schweitzers. Schweitzer verstand Paulus als Juden, der auch in seiner Zuwendung zur paganen Welt Jude bleibt. Und Schweitzer vertrat die These, dass nicht die Rechtfertigung aus Glauben das Zentrum der paulinischen Theologie sei, sondern das Sein „in Christus“. Beide Thesen wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem von Forschern aus der angelsächsischen Welt aufgegriffen und weitergeführt – und zwar gegen einen mitteleuropäischen „mainstream“ der von Rudolf Bultmanns Paulussicht ebenso geprägt ist wie vom Erbe der lutherischen Reformation. Bekannte Namen dieser bald unter dem Titel einer „neuen Perspektive“ („new perspective on Paul“) firmierenden Richtung sind E.P. Sanders, Krister Stendahl oder James Dunn. Und eben N.T. Wright. Diese Richtung ist in sich vielgestaltig, im Blick auf die Herkunft ihrer Protagonisten wie im Blick auf ihre Entwürfe, wird aber durch einige gemeinsame Grundaussagen greifbar. Neben den schon genannten, die auf Schweitzer zurückgehen, ist dabei eine zentral, die auch Wright aufgreift und weiterführt: Das Judentum des ersten Jahrhunderts ist keine werkgerechte Gesetzesreligion in der Menschen sich aus eigener Kraft vor Gott rechtfertigen. Dies ist vielmehr eine unhistorische Karikatur. Bei Wright wird diese Sicht eingeordnet in seine Deutung der dikaiosyne als „faithfullness“, als Bundestreue Gottes gegenüber seinem Volk. Paulinische Theologie ist und bleibt jüdische Theologie – neu gestaltet um Geist und Messias.

Ökumene  

Nur noch erwähnt werden kann abschliessend, wie stark die ökumenische Prägung dieser Tagung war. Und zwar im umfassenden Sinne: Nicht nur, dass sich Katholiken, Protestanten verschiedener Herkunft (bis zu den Freikirchen) und Orthodoxe  im Publikum fanden. Sondern auch „kritische“ Exegeten und Christinnen und Christen evangelikaler Prägung. Dass exegetisch und historisch genau gearbeitet wurde, ohne dass die geistliche Dimension verloren ging. Die hochkarätige Diskussion mit N.T Wright, Kurt Kardinal Koch, Gottfried Locher und Martin Bühlmann fügte sich hier organisch ein. Der geistliche, sehr bewegende Höhepunkt des abschliessenden Gottesdienstes war dann auch die gegenseitige Segnung, die sich alle Teilnehmer spendeten.

 

Text: Dr. Martin Brüske