Mitteilung des DirektorsPublikationsdatum 22.12.2020

Weihnachten - Gott kommt uns nahe


Wie soll das gehen? Im Jahr der Corona-Pandemie? In einer Zeit, wo man Kontakte reduzieren und soziale Distanz wahren soll. Aber eigentlich würde doch christliche Nächstenliebe heißen, sich umeinander zu kümmern, sich nahe zu kommen, gerade auch demjenigen, der unter die Räuber gefallen ist…

In der gegenwärtigen Krise konnten wir die Ambivalenz des technologischen Fortschrittes „hautnah“ erleben: Begegnungen, Treffen und Tagungen fanden via Zoom, Skype oder MS-Teams statt – virtuell. Dies alles hat großartige Möglichkeiten eröffnet, auch gerade für uns als Studienzentrum. Nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den Studientagen 2020, die als Online-Initiative „wachet und betet“ stattfand oder die im Herbst lancierte Medienplattform „Glaube & Gesellschaft“.

Doch zugleich wurde uns schmerzlich bewusst, dass da doch noch etwas Wichtiges fehlt. Im Internet können wir zwar Distanzen schon irgendwie überwinden. Aber, so schreibt Martin Heidegger mit Recht:

„Das hastige Beseitigen aller Entfernungen bringt keine Nähe; denn Nähe besteht nicht im geringen Maß der Entfernung. Was streckenmäßig in der geringsten Entfernung zu uns steht, durch das Bild im Film, durch den Ton im Funk, kann uns fern bleiben. Was streckenmäßig unübersehbar weit entfernt ist, kann uns nahe sein. Kleine Entfernung ist nicht schon Nähe. Große Entfernung ist noch nicht Ferne.“

Wir sind nicht virtuelle, sondern fleischliche Wesen, und wir brauchen leiblichen Kontakt und Kommunikation. Die virtuelle Sphäre erweitert aber ersetzt nicht die leibliche Begegnung. Und darum ist auch die gute Nachricht – Gott wird Mensch, einer von uns, einer den man sehen, hören und berühren konnte (vgl. 1 Joh 1,1) – wirklich ein Evangelium: Wir sind nicht allein! Immanuel, der Gott mit uns, kann auch dieses Jahr erfahrbar werden, trotz Distanz und Schutzmaßnahmen. Wenn wir also ins Antlitz unserer Kinder, unserer Nachbaren oder derer die unter die Räuber gefallen sind blicken, dann machen wir die urmenschliche Erfahrung einer Begegnung mit dem Du, und darin begegnen wir dem Herrn selber. Solche Geschenke sind ganz menschlich und ganz göttlich zugleich. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit…“ – so singen viele von uns alljährlich Georg Weissels Adaption von Psalm 24: „Erhebt, ihr Tore, eure Häupter, erhebt euch, ihr uralten Pforten, dass einziehe der König der Herrlichkeit“ (Ps 24, 7.9) – dieser König der Herrlichkeit will uns nahe kommen und in der Niedrigkeit unseres Menschseins uns begegnen.

Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes und friedvolles Weihnachtsfest,

Euer Walter Dürr,
Direktor Studienzentrum für Glaube & Gesellschaft

Foto von Roland Juker