Transhumanismus – Traum oder Alptraum?
Beim Herder-Verlag erscheint Ende 2022 / Anfang 2023 eine kritische Einführung in das Denken und die praktischen Implikationen des Transhumanismus aus christlicher Sicht. Das Buch soll einen weiteren Beitrag zur Techniktheologie für das digitale Zeitalter sein.
Buchbeschrieb
Was gestern noch Science-Fiction war, ist heute bereits Realität. Neuartige Bio- und Informationstechnologien erlauben es, die Welt radikal umzugestalten. Sie verändern unseren menschlichen Körper und Geist. Was bedeutet das für den Menschen an sich und seine Zukunft? Transhumanisten versprechen sich von technischen Innovationen eine umfassende Verbesserung des Lebens und entwerfen euphorische Zukunftsszenarien.
Das vorliegende Buch untersucht die Hintergründe und das Menschenbild des Transhumanismus. Besonders deutlich werden die Schattenseiten, inneren Widersprüche und entmenschlichenden Tendenzen herausgearbeitet und mit den Perspektiven des christlichen Glaubens konfrontiert.
Eine Techniktheologie bietet Zukunftsperspektiven, die sich konstruktiven Fragen stellt: Können wir die technischen Innovationen so in unser Leben integrieren, dass sie es wirklich besser machen? Wenn ja, wie genau? Und welches Menschenbild leitet uns dabei? Am Ende kommt es nicht darauf an, ob das transhumanistische Menschenbild stimmt – sondern darauf, was geschieht, wenn wir so leben, als wäre es so.
Hinführung und Zielsetzung des Buchprojektes
Die Transformationen des digitalen Zeitalters haben eine Fülle von Beiträgen anthropologischer Selbstvergewisserung hervorgerufen. In denselben Reflexionsraum hinein stellt der zeitgenössische Transhumanismus seit Jahrzehnten profilierte anthropologische Zukunftsvisionen, deren imaginative Strahlkraft weit über die Grenzen des nominellen Transhumanismus hinaus in die Gegenwartsgesellschaft hineinwirkt und umgekehrt selbst von kulturellen Tiefenströmungen des Zeitgeistes zu zehren scheint.
Das Anliegen, den Menschen in psycho-physischer Hinsicht zu verbessern, hat bereits eine lange und in weiten Strecken ambivalente Geschichte. Neu in der Gegenwart sind die Gestaltungspotentiale und Handlungsspielräume, die durch revolutionäre Bio- und Digitaltechnologien eröffnet wurden. Im Horizont dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen konfrontiert der Transhumanismus das gegenwärtige Bewusstsein mit der konkret gestellten Frage nach der Rettung des Endlichen: Hat der individuelle Mensch eine Zukunft im Angesicht Krankheit, Leid und Tod? In der positiven Beantwortung dieser Frage propagiert der Transhumanismus eine innerweltliche Selbsterlösung durch Wissenschaft, Medizin und Technik im Rahmen einer radikalen Freiheitsutopie.
Das Projekt zielt auf eine allgemeinverständliche Hinführung zum Phänomen des zeitgenössischen Trans- und technologischen Posthumanismus, auf einen konstruktiven Dialog mit seinen Anliegen, aber auch auf eine systematische Kritik seines Programms vor dem Hintergrund sowohl seiner eigenen anthropologischen und weltanschaulichen Hintergrundannahmen als auch der alternativen Sicht des christlichen Glaubens.
Zum Inhalt
Die Einleitung wirft am Beispiel von E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ einen medien- bzw. technikphilosophisch nüchternen Blick auf die digitaltechnologischen Transformationen unserer Gesellschaft, wobei sowohl die imaginative Potenz von Technik als auch die formative Wirkung des menschlichen Umgangs mit ihr berücksichtigt wird. Dadurch wird nachvollziehbar, wie sich bio- und informationstechnologische Entwicklungen auf das menschliche Selbstverständnis auswirken, und zwar besonders dann, wenn sie mit weltanschaulichen Vorannahmen transhumanistischer Zukunftsvisionen unterfüttert sind. Somit die Frage im Raum: Wie wollen, sollen und können wir Menschen uns in Zukunft bestimmen (lassen)?
Das erste Kapitel umreißt die zentralen Anliegen des Transhumanismus und versucht damit dieser heterogenen Bewegung ein konsistentes Profil zu geben. Im Fokus steht der reduktiv-säkularistische Transhumanismus. Zentral sind dabei die Themen menschlicher Autonomie, individueller Selbstbestimmung, morphologischer Freiheit, des „Enhancements“ bzw. der Menschenoptimierung und der Überwindung von Krankheit, Altern und Tod, die durch Wissenschaft, Medizin und Technik bewerkstelligt werden sollen. Im Hintergrund steht eine „instrumentalistische“ Haltung der Verfügbarmachung von Welt, die auf einen „technologischen Solutionismus“ (Morozov) hinausläuft. In diesem Kapitel wird die Differenzierung zwischen einem „biologischen“ und einem „postbiologischen Transhumanismus“ (bzw. technologischen Posthumanismus) eingeführt, die mit unterschiedlichen Strategien auch unterschiedliche Ziele der Menschenverbesserung verfolgen.
Das zweite Kapitel vertieft die Perspektiven des „biologischen Transhumanismus“ und verortet damit den Transhumanismus insgesamt in seinem ideengeschichtlichen und historischen Kontext. Deutlich wird hierbei die Verquickung von Evolutionismus, Eugenik und Technikoptimismus, die sich (in teils abgeschwächter Form) bis in die Dynamiken der gegenwärtigen Optimierungsgesellschaft auswirken.
Das dritte Kapitel zeichnet Veränderungen im Menschenbild nach, die in der transhumanistischen „Computeranthropologie“ kulminieren, wie sie sich in der gegenwärtigen Debatte um sog. „künstliche Intelligenzen“ und „künstliches Leben“ im Allgemeinen und besonders im Blick auf die trans- bzw. posthumanistische Vorstellung des sog. „Mind Uploading“ kristallisiert. Dabei spielen quasi-mythisch aufgeladene Potentiale von Blackbox-Algorithmen, eine sog. „generelle künstliche Superintelligenz“ und die Denkfigur einer „technologischen Singularität“ eine zentrale Rolle. Insgesamt geht dieses Kapitel damit näher auf den „postbiologischen Transhumanismus“ ein und kontextualisiert dessen Visionen im Rahmen einer auf Information und Datenverarbeitungsprozesse kapriziertes Weltbild.
Das vierte Kapitel stellt die Frage, ob der Transhumanismus unter seinen eigenen Vorzeichen überhaupt liefern kann, was er verspricht. Dabei werden inhaltliche Ambivalenzen und strukturelle Widersprüche der transhumanistischen Agenda analysiert und kritisch beleuchtet. Zentral wird hierbei die Dynamik der Entmenschlichung in den Blick genommen werden: sowohl im Sinne einer biologistischen Reduktion des Menschen auf das Tierische bzw. auf seine genetischen Dispositionen als auch im Sinne einer postbiologischen Reduktion des Menschen auf das Mechanische bzw. auf seine digitalisierbaren Aspekte. Dieses Kapitel verortet die transhumanistischen Visionen auch im Kontext kultureller, ökonomischer und sozialer Dynamiken und bringt den Transhumanismus als „innerweltliche Eschatologie“ ins Gespräch mit dem christlichen Glauben.
Das fünfte Kapitel erkundet in diesem konstruktiv-kritischen Dialog einen alternativen Weg, auf dem das transhumanistische Anliegen einer Rettung des Endlichen gewürdigt, seine inneren Widersprüche jedoch vermieden werden können. Zu diesem Zweck werden die Ressourcen der christlichen Tradition(en) in der Gestalt kreativer Antwortversuche auf die transhumanistischen Anfragen mobilisiert: Was kann der Mensch sein? Welches schöpferische und kreative Potential eignet ihm? Wo liegen seine Grenzen? Daraus ergeben sich schließlich Impulse einer „Techniktheologie“ für das bio- und digitaltechnologische Zeitalter, welche die Potentiale einer eschatologischen „Vollendlichkeit“ von Mensch und Schöpfung reflektiert.
Projektverantwortung: Dr. Oliver Dürr