09.11.2007

Physik liefert neue Erkenntnisse über die Bildung des Grauen Stars


Ein Forscherteam der Universität Freiburg und der EPFL hat mit Hilfe der Methoden und Erkenntnisse der Physik der weichen kondensierten Materie gezeigt, dass eine präzise eingestellte Balance von Anziehungskräften zwischen Proteinen die Augenlinse transparent hält, und dass schon kleine Änderungen in dieser Balance eine Aggregation (Verklumpung) und Entmischung der Proteine hervorrufen können. Dies führt dann zur Bildung eines ‚Grauen Stars’, der weltweit wichtigsten Ursache für Blindheit. Diese Resultate sind in der aktuellen Ausgabe von „Physical Review Letter” publiziert worden.



Die Augenlinse besteht aus dicht gepackten kleinen Eiweissteilchen, so genannten Proteinen, die so angeordnet sind, dass sichtbares Licht ungehindert hindurchtreten kann. Aus unterschiedlichsten Gründen wie etwa UV-Strahlung und fortgeschrittenes Alter können diese Proteine ihr Verhalten ändern und sich zu mikroskopisch kleinen Klümpchen zusammenlagern. Als Folge davon wird Licht, das in die Linse einfällt, gestreut, was wiederum zu einer getrübten Sicht oder gar Blindheit führt. Zurzeit ist noch keine Methode bekannt, um diesen Prozess der Proteinaggregation rückgängig zu machen. Fast fünf Millionen Menschen unterziehen sich jährlich einer Kataraktoperation, bei der die Augenlinse entfernt und durch eine künstliche ersetzt wird.

Bisherige Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass die Wechselwirkungen zwischen jenen drei Proteinen, die den Hauptbestandteil der konzentrierten Linsenproteinlösung darstellen, der Schlüssel zur Kataraktbildung sind. Ein Team von Wissenschaftlern der Universität Freiburg, der EPFL und dem Rochester Institute of Technology (USA) hat nun die Wechselwirkungen zwischen zwei dieser Linsenproteine bei Konzentrationen vergleichbar mit jenen im Auge untersucht, indem sie Neutronenstreuexperimente mit Computersimulationen kombiniert haben. Sie fanden heraus, dass eine genau abgestimmte Kombination von Anziehung und Abstossung zwischen diesen zwei Proteinen zu einer Anordnung der Proteine in einer Lösung führt, die für sichtbares Licht durchlässig ist. „Durch die Kombination von Experimenten und Simulationen wurde es möglich herauszufinden, dass es eine schwache Anziehung zwischen den beiden Proteinen braucht, damit die Augenlinse transparent ist“, erklärt Giuseppe Foffi, Postdoc an der EPFL und Mitglied des ‚Institut Romand de Recherche Numerique en Physique des Materiaux’ (IRRMA). „Unsere Resultate weisen darauf hin, dass sich ein Katarakt ausbilden könnte, wenn diese empfindliche Balance zwischen Anziehung und Abstossung gestört wird. Und das wiederum öffnet neue Wege für die Kataraktforschung.“

„Es wurden bislang schon viele Studien an den einzelnen Linsenproteinen durchgeführt“, fügt Erstautorin Anna Stradner, Physikerin an der Universität Freiburg hinzu, „aber noch keine an Mischungen bei Konzentrationen, wie sie typischerweise im Auge zu finden sind. Wir haben diese Proteine als kolloidale Teilchen modelliert und entdeckt, dass es nur einen engen Bereich von Bedingungen gibt, in dem die Linsenproteinlösung stabil bleibt und somit die nötigen Voraussetzungen für die Transparenz der Augenlinse liefern kann“.

Zusätzlich zu den neu enthüllten wichtigen Informationen über die Wechselwirkungen zwischen den Proteinen in der Augenlinse, hat die Studie Modellcharakter für weitere Studien über die molekularen Eigenschaften und Wechselwirkungen von Proteinen. Insbesondere bringt die Arbeit Licht in andere Proteinsaggregations-Krankheiten wie z.B. Alzheimer. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Eigenschaften möglicherweise manipuliert werden können, sodass die Aggregation von Proteinen verhindert oder dieser Prozess – hat er einmal begonnen – rückgängig gemacht werden kann.

Die Neutronenstreuexperimente wurden am Paul Scherrer Institut in Villigen (Schweiz) durchgeführt. Die Forschungsarbeit wurde finanziell unterstützt vom Schweizer Nationalfond, einem Marie Curie Netzwerk, dem Schweizerischen Staatssekretariat für Bildung und Forschung, sowie dem National Institute of Health (USA).

Weitere Informationen:
Anna Stradner, +41 26 300 9120; anna.stradner@unifr.ch
http://www.unifr.ch/physics/mm/
Giuseppe Foffi, +41 21 69 36564; giuseppe.foffi@epfl.ch

Quelle:
Dienst für Kommunikation & Marketing, Tel. 026 300 70 34, E-mail: marcom@unifr.ch