Umwelt16.03.2022

Biodiversität: Bessere Identifikation von zu schützenden Zonen dank künstlicher Intelligenz


Können dank dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) mehr Arten vor der Ausrottung gerettet werden? Ein Forschungsteam unter der Leitung von Daniele Silvestro, der an den Universitäten Freiburg (CH) und Göteborg sowie am Schweizerischen Institut für Bioinformatik SIB wirkt, hat die neue Software «CAPTAIN» dafür trainiert, sämtliche wesentlichen Parameter (auch finanzielle) zu berücksichtigen und so eine effiziente Auswahl der zu schützenden Zonen zu treffen. Für ein gegebenes Budget können mit CAPTAIN mehr Arten geschützt werden als mit anderen Methoden.

Die immer eindringlicheren Aufrufe, dem fortschreitenden Biodiversitätsverlust Einhalt zu gebieten, stossen nicht zuletzt an finanzielle Grenzen. Letztere werden durch die finanziellen Mittel definiert, welche die Regierungen und Entscheidungsträger den Schutzprogrammen zuteilen können (oder wollen). Der weltweit steigende anthropogene Druck auf die Ökosysteme und die Verschärfung der Klimakrise sind nicht geeignet, die Suche nach effizienten Tools zum Schutz der Natur zu vereinfachen. Doch gemäss einem internationalen Team aus schweizerischen, schwedischen und britischen Forschenden ist es heute möglich, mittels der KI gezieltere Schutzmassnahmen zu treffen. In einem am 24. Februar 2022 in Nature Sustainability erschienen Artikel präsentiert das Forschungsteam gestützt auf Biologie, Umweltökonomie und Informatik einen neuen Ansatz, mit dem sich bestimmen lässt, wo die Einrichtung von Schutzzonen in einer Region oder in einem Land am meisten Sinn macht und am effizientesten durchgeführt werden kann.

Mehr Artenschutz mit einem gegebenen Budget
Ihre Lösung wird im Rahmen der Software CAPTAIN (Conservation Area Prioritization Through Artificial INtelligence) umgesetzt. Diese integriert die Daten zur Biodiversität, zum Artenschutzbudget, zum anthropogenen Druck und zum Klimwandel. Die mittels dieser KI optimierten Modelle ergeben bessere Lösungen als jene, die unter Einsatz anderer Softwares entwickelt wurden. Bei einem vergleichbaren Budget können mit CAPTAIN mehr Arten geschützt werden als mit einfacheren Ansätzen, die sich beispielsweise auf den Schutz der artenreichsten Zonen beschränken.

Fortlaufendes Monitoring ist zentral
Im Rahmen Ihrer Modellierungsarbeit haben die Forschenden festgestellt, dass die Biodiversität dann am besten geschützt ist, wenn detaillierte Informationen zur Raumverteilung der Arten vorliegen und die Populationen regelmässig überwacht werden – und zwar nicht nur von Fachleuten und unter Einsatz neuer Technologien wie Umwelt?DNA oder Drohnenaufnahmen, sondern auch durch Citizen-Science-Initiativen.

Ein – wie bei einem Videospiel – trainierter Algorithmus
«Zur Optimierung unserer KI-Modelle simulieren wir eine künstliche Welt mit zahlreichen Arten, die dem anthropogenen Druck (z.B. direkte Nutzung oder Landnutzungsänderungen) und dem Klimwandel ausgesetzt sind», erklärt der Computerbiologe Daniele Silvestro, erster Autor des Artikels. «Wie in einem Videospiel lassen wird den Algorithmus sodann die Rolle des politischen Entscheidungsträgers spielen, wobei die Belohnung am Ende der Partie in der Anzahl Arten besteht, die vor der Ausrottung gerettet wurden. Das Programm spielt das Spiel mehrere Male und lernt so nach und nach, wie es die Schutzzonen in dieser simulierten Welt am besten platziet. Nach dieser Trainingsphase ist der Algorithmus für die Anwendung auf Daten der realen Welt bereit.»

«Angesichts der Tatsache, dass kein einziges der 2010 international festgelegten 20 Aichi-Biodiversitäts-Ziele voll erreicht wurde, ist es klar, dass wir die Art und Weise, wie effiziente und realistische Schutzmassnahmen konzipiert werden, neu überdenken müssen», erklärt Alexandre Antonelle, wissenschaftlicher Leiter bei Kew (UK), der die Forschungsarbeit mitgeleitet hat. «Wir sind der Auffassung, dass die KI völlig neue Perspektiven eröffnet, da sie den politischen Entscheidungsträgern effizient dabei helfen kann, die verfügbaren Daten bestmöglich zu nutzen und den unumkehrbaren Verlust von Biodiversität zu stoppen.
 

> Silvestro, D., Goria, S., Sterner, T., Antonelli, A. (2022) Improving biodiversity protection through artificial intelligence. Nature Sustainability.
> Bild: © Alexandre Antonelli