Gender und Sprache05.05.2021

Ein neues Buch erforscht die Auswirkungen unserer männlich geprägten Sprache


Die Meinungen über inklusive Sprache sind stark, aber oft wenig fundiert. Das von Pascal Gygax von der Universität Freiburg mitverfasste Buch «Le cerveau pense-t-il au masculin?» (dt. «Denkt das Gehirn in männlichen Formen?») bringt jetzt harte Fakten. Das Werk bietet ein leicht zugängliches wissenschaftliches Update über die Zusammenhänge zwischen Sprache und geschlechtsbezogenen sozialen Konstrukten. Der Psycholinguist argumentiert, dass sich Sprache durch ihre Anwendung weiterentwickeln kann – und sollte.

Sprache beeinflusst stark die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, wie wir denken und handeln. Sie spiegelt auch soziale Konstruktionen von Geschlecht wider, einschliesslich der Zentralität von Männern in der Gesellschaft, dem sogenannten Androzentrismus. Jedes Mal, wenn wir uns ausdrücken, übertragen und verstärken wir unbewusst Stereotypen über den Platz von Frauen und Männern in der Gesellschaft. Wir können uns aber dessen bewusst werden und die Wahl treffen, eine weniger exklusive Sprache zu verwenden. Diese Thesen bilden den Kern des Buches «Le cerveau pense-t-il au masculin?», das von Pascal Gygax, dem Leiter der Arbeitsgruppe Psycholinguistik und angewandte Sozialpsychologie am Departement für Psychologie der Universität Freiburg, mitverfasst wurde.

Spiegel gesellschaftlicher Vorurteile
Das Buch zeigt, wie sich der Androzentrismus in der Sprache widerspiegelt und wie die Sprache ihn ihrerseits nährt. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien analysiert Gygax die Folgen der doppelten Funktion des Maskulinums, die es sowohl im Französischen als auch im Deutschen gibt: Einerseits kann es spezifisch sein und sich auf das männliche Geschlecht beziehen, andererseits kann es eine generische Bedeutung annehmen, die auch Frauen einschliessen soll. Das Buch erläutert die Interpretationsschwierigkeiten, die diese Mehrdeutigkeit mit sich bringt und thematisiert ihre gesellschaftlichen Konsequenzen.

Obwohl die Grammatik der maskulinen Form auch eine generische Bedeutung zuweist, haben psycholinguistische Studien, die von Pascal Gygax und seinen Kolleg_innen in den letzten fünfzehn Jahren durchgeführt wurden, gezeigt, dass wir sie nicht so interpretieren. «Die Vorstellung, dass die männliche Form auch neutral sein könnte, ist einfach unvereinbar mit der Funktionsweise unseres Gehirns», erklärt der Forscher. Wenn wir ein Wort in der männlichen Form lesen, sehen wir nicht wirklich die Frauen, die damit gemeint sein sollen. Dies hat wichtige Konsequenzen für die Gesellschaft als Ganzes, zum Beispiel für die Berufswahl. Mädchen wachsen in einer Umgebung auf, in der die überwältigende Mehrheit der Berufe in der männlichen Form beschrieben wird; eine Form, die sie ausschliesst. Studien zeigen, dass sie sich weniger angesprochen fühlen und weniger Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben, eine erfolgreiche Karriere zu verfolgen, als wenn eine Doppelnennung verwendet wird, so zum Beispiel «Politikerin und Politiker».

Pascal Gygax und seine Mitautorinnen Sandrine Zufferey und Ute Gabriel erinnern uns daran, wie wir die Verbreitung von sprachlich bedingten Vorurteilen vermeiden können, indem wir inklusive Formulierungen verwenden. Das Ziel ist die «Entmännlichung» der Sprache. Ein Begriff, der uns daran erinnert, dass das Französisch, das wir heute verwenden, das Produkt von Maskulinisierungswellen ist. Zahlreiche Berufe, die im Femininum dekliniert wurden – wie «professeuse» (dt. Professorin), «autrice» (dt. Autorin) oder «médecine» (dt. Ärztin) – sind dadurch verschwunden, insbesondere nach Entscheidungen der Académie française. Die sogenannte «règle de l’accord systématique au masculin», wonach ein Adjektiv die maskuline Endung erhält, sobald es sich auf mehrere Wörter bezieht, von denen mindestens eins maskulin ist («Les garçons et les filles se sont assis»), setzte sich erst im 18. Jahrhundert wirklich durch. Sie ersetzte flexiblere Formen wie die Proximitätsregel («Les garçons et les filles se sont promenées»), die Mehrheitsregel («Les écolières et les enseignants sont sorties») oder die Bedeutungsregel («Les femmes et le chien se sont promenées»).

Diskussion über den Sprachwandel
«Sprachen entwickeln sich ständig weiter», sagt Gygax. Und diese Entwicklungen finden nicht so sehr durch die von offiziellen Stellen festgelegten Regeln statt, sondern durch den Sprachgebrauch. Dies gilt insbesondere im Englischen, wo die Verwendung des Pronomens «they» zur Bezeichnung einer Person, deren Geschlecht unbekannt ist, wieder populär geworden ist, und in Schweden, wo ein Kinderbuch die Verwendung des geschlechtsneutralen Pronomens «hen» eingeführt hat. «Es liegt an uns, wie wir kommunizieren», sagt der Psycholinguist.

Das Buch erscheint im Verlag Le Robert in der Reihe «Temps de parole», die soeben ins Leben gerufen wurde, um Veränderungen in der Sprache und die dadurch ausgelösten Debatten zu analysieren. Der Verlag wandte sich an den Spezialisten der Universität Freiburg, einen der wenigen Psycholinguist_innen, der das Französische aus psychologischer Sicht untersucht. «Eines der Ziele des Buches ist es, sachliche wissenschaftliche Argumente in diese manchmal hitzige Debatte einzubringen», erklärt Pascal Gygax. «Dies wird dazu beitragen, fundierte Diskussionen über Sprachentwicklungen zu führen.»

  • Pascal Gygax, Sandrine Zufferey, Ute Gabriel: Le cerveau pense-t-il au masculin? Cerveau, langage et représentations sexistes. Le Robert, Mai 2021.
  • Pascal Gygax leitet die Arbeitsgruppe für Psycholinguistik und angewandte Sozialpsychologie an der Universität Freiburg. Sandrine Zufferey ist ordentliche Professorin für französische Sprachwissenschaft an der Universität Bern. Ute Gabriel ist Professorin an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie, wo sie Sozialpsychologie lehrt.