Psychologie20.08.2018

Ein Denkfehler am Ursprung des Kreationismus und der Verschwörungstheorien


In unserer oft als «post-faktisch» betitelten Zeit wächst das Misstrauen gegenüber wissenschaftlicher Expertise und den Behörden, wobei insbesondere das Internet und soziale Netzwerke die Verbreitung irrationaler und unwissenschaftlicher Ideen begünstigen. Es ist deshalb dringend notwendig, dieses Phänomen zu verstehen, damit der wissenschaftliche Fortschritt nicht in einem Meer von «alternativen Fakten» aller Art ertrinkt. Mit dem Ziel, diese alternativen Überzeugungen besser zu verstehen, haben Forschende der Universitäten Freiburg, Rennes und Paris-Saint-Denis eine Verzerrung im Denken bzw. einen Denkfehler identifiziert: die Neigung zur Teleologie, welche Kreationismus und Verschwörungstheorien gemeinsam haben – zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Glaubensformen.


«Nichts passiert zufällig», hört man häufig sagen. Dass «alles aus einem bestimmten Grund passiert», oder dass dieses und jenes Ereignis «so kommen musste». Forschende zeigen nun, dass diese Form des sogenannten teleologischen Denkens mit zwei Arten von Überzeugungen verbunden ist, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben: der Kreationismus, also der Glaube, dass das Leben auf der Erde zu einem ganz bestimmten Zweck und von einem übernatürlichen Schöpfer erschaffen worden ist und Verschwörungstheorien, also die Tendenz, historische und zeitgenössische Ereignisse einer geheim handelnden Gruppe von mächtigen Individuen zuzuschreiben.

Viele Menschen glauben trotz der zahlreichen Argumente für die Evolutionstheorie, welche die Entstehung des Lebens auf der Erde erklärt, dass Gott das heutige Leben mit bereits differenzierten Spezies erschaffen hat. Verschwörungstheorien wiederum reichen von den Anschlägen des 11. Septembers 2011 in den USA bis hin zu den Angriffen der letzten Jahre in Frankreich und bieten im Internet «alternative Erklärungen» zur «offiziellen Version». Forschungen in der Psychologie haben gezeigt, dass der zunehmende Glaube an Verschwörungen mit zahlreichen ideologischen, emotionalen, kognitiven und sozialen Faktoren zusammenhängt.

Alles geschieht aus einem bestimmten Grund
Die Verbindung zwischen diesen beiden Formen der «Post-Wahrheit» wurde in dieser Studie, die gemeinsam in der Schweiz und Frankreich durchgeführt wurde, zum ersten Mal untersucht. Kreationisten lehnen die Evolutionstheorie ab, weil diese behaupte, dass sich das Leben auf der Erde zufällig entwickelt hat. Die Existenz eines Schöpfergottes schenkt dem Dasein Sinn und Zweck, die kreationistische Erzählung ermöglicht es dem Menschen, einen Platz ausserhalb des Tierreichs einzunehmen. In ähnlicher Weise interpretieren Verschwörungstheoretiker komplexe Phänomene wie Morde oder Terroranschläge als das Ergebnis eines Komplotts von mächtigen und böswilligen Menschen, obwohl der Zufall oder die offizielle Version die leichtere Erklärung wären. So stellen sich sowohl Kreationisten als auch Verschwörungstheoretiker die Existenz allmächtiger Akteure hinter den Dingen vor, verborgene Ziele, die den Lauf der Dinge erklären. Darüber hinaus lehnen beide epistemische Autoritäten wie z.B. die Wissenschaft und ihre Experten, aber auch die Politik mit ihren Regierungen oder die «offiziellen» Medien ab.

Teleologisches Denken spiegelt sich in der Annahme von Aussagen wie «die Sonne geht auf, um uns Licht zu bringen» oder «das Ziel der Bienen ist die Bestäubung der Blumen» wieder. Diese Denkart ist das Gegenteil des wissenschaftlichen Ansatzes, wie man am Beispiel der Evolutionstheorie sehen kann, bei welchem eine Spezies nicht mit irgendeiner Absicht entsteht, sondern über die Vereinigung von zufälligen genetischen Mutationen und einer Selektierung dieser Mutationen über die Anpassung eines Organismus an die Umwelt. Der teleologische Gedanke wurde auf anschauliche Weise von Voltaire verspottet, dessen Figur Pangloss behauptete, die Nase sei zum Tragen einer Brille gemacht. Diese Form des Denkens, die bereits bei Kindern als Hindernis für das Verständnis der biologischen Evolution bekannt ist, wurde zum ersten Mal unter Erwachsenen, die an Kreationismus und Verschwörungen glauben, in besonderer Weise identifiziert.

Eine grenzübergreifende Umfrage
Um dies herauszufinden, befragten die französischen und Schweizer Forschenden zum ersten Mal rund 150 Universitätsstudierende in der Schweiz. Diese beantworteten einen Fragebogen, der Teleologie- und Verschwörungserklärungen beinhaltete, dazu Messungen des analytischen Denkens, der magischen und esoterischen Überzeugungen sowie Aufgaben zur Wahrnehmung von Zufall. Die Daten aus der Umfrage zeigten, dass die Zuschreibung einer Funktion oder Bedeutung an natürliche Phänomene in moderater, aber signifikanter Weise mit der Neigung verbunden ist, an Verschwörungstheorien zu glauben. In einem zweiten Schritt konnten die Forschenden auf der Grundlage von Daten einer grossen Befragung einer repräsentativen Bevölkerungsgruppe in Frankreich auch einen starken Zusammenhang zwischen Verschwörungs- und kreationistischen Überzeugungen feststellen. In einem dritten Online-Fragebogen rekrutierten sie mehr als 700 Menschen in sozialen Netzwerken, um zu bestätigen, dass diese Verbindungen zwischen teleologischem Denken, Kreationismus und Verschwörungstheorien reproduziert wurden, teilweise unabhängig von anderen Variablen wie Religion, Alter, politische Orientierung, analytisches Denken und Bildungsniveau.

Mögliche Auswirkung auf die Bildung
Teleologisches Denken ist ein Bestandteil der Kognition von Kindern und kann nur schwer durch Bildung angegangen werden kann, sogar unter Erwachsenen und manchmal gar bei Wissenschaftlern selbst. Daher ist es naheliegend, diese Form des Denkens als kognitive Verzerrung zu sehen, welche die Entstehung und Beibehaltung kreationistischer und konspirativer Ideen begünstigt.
Diese Forschungsergebnisse können wichtige Implikationen für den naturwissenschaftlichen Unterricht sowie für die Entwicklung von kritischem Denken liefern. Sie können bei der Entwicklung von Strategien hilfreich sein, um die manchmal gefährlichen Vorstellungen zu bekämpfen, die derzeit die sozialen Netzwerke und das Internet überschwemmen, wie z.B. die Ablehnung von Impfstoffen oder die Verneinung der globalen Erwärmung.

Pascal Wagner-Egger, Sylvain Delouvée, Nicolas Gauvrit and Sebastian Dieguez « Creationism and conspiracism share a common teleological bias », Current Biology.