Psychologie05.08.2016

Schon Babys können Gesichter lesen


Bereits mit sieben Monaten sind Kleinkinder in der Lage, Gesichtsausdrücke zu interpretieren. Die dafür eingesetzten Strategien aber variieren je nach Kulturkreis des Kindes. Eine internationale Studie, die vom Psychologieprofessor Roberto Caldara der Universität Freiburg koordiniert wurde, zeigt auf, dass die Umgebung, in der ein Kind aufwächst, grossen Einfluss hat auf die Art und Weise, Emotionen zu lesen und auszudrücken.

Noch vor den ersten Schritten entwickelt der Mensch neuronale Schaltkreise, die eigens dafür da sind, über verschiedene Gesichtsausdrücke Emotionen zu zeigen und zu verstehen – eine Fähigkeit, die nicht zuletzt eine wichtige Rolle spielt im Überleben der Spezies. Es zeigt sich aber, dass sowohl der Ausdruck, wie auch die Interpretation von Gefühlen stark von den jeweils herrschenden sozialen Normen abhängen. Studien, die zu einem früheren Zeitpunkt an der Universität Freiburg durchgeführt wurden, belegen, dass sich die perzeptiven Mechanismen, die Erwachsene gebrauchen, um Emotionen zu vermitteln und zu dekodieren, in Orient und Okzident unterscheiden. So steht vergleichsweise der Mund im Westen ganz klar im Zentrum der Aufmerksamkeit, während die Menschen im Osten sich viel stärker auf die Augen konzentrieren. „Diese Mechanismen wiederspiegeln sich auch im Gebrauch von so genannten Emoticons“, erklärt Roberto Caldara, Professor des Bereichs für visuelle und soziale Neurowissenschaften an der Universität Freiburg und Leiter des Eye and Brain Mapping Laboratory (iBMLab). Im Orient zeigt sich eine Veränderung des Gesichtsausdrucks in den Augen. Glücklich und unglücklich etwa werden durch ^_^  und T_T übersetzt. Im Okzident erkennen wir den Unterschied über den Mund, etwa so :-) respektive :(. Deutlich wird dies auch an der Figur Hello Kitty der japanischen Designerin Yuko Shimizu. Das anthropomorphe Kätzchen zeigt uns seinen Gefühlszustand gänzlich ohne den Gebrauch eines Mundes.

Sag mir, wie du lachst
Soviel zu den Erwachsenen. Bislang hatte sich aber noch niemand mit der Frage beschäftigt, ab welchem Alter wir diese unterschiedlichen Anwendungs- und Interpretationsformen entwickeln. Um genau dies herauszufinden, koordinierte Roberto Caldara eine Studie, die in England, Italien und Japan durchgeführt wurde und kam zum Schluss, dass ein Baby im Alter von sieben Monaten bereits dieselben Strategien anwendet wie die Erwachsenen des Kulturkreises, in dem das Kind aufwächst.

Insgesamt wurden an 77 in England geborenen und 76 in Japan zur Welt gekommenen Kleinkindern Teste durchgeführt. Die Forschenden verfolgten die Augenbewegungen der Kinder, während diese sich Ausdrücke wie Freude oder Angst auf Gesichtern sowohl orientalischer wie okzidentalischer Herkunft anschauten. Die Resultate zeigen, dass im Vergleich Kinder im Westen ihre Aufmerksamkeit auf den Mund richten, während die im Osten heimischen Babys die Augenregion fokussierten – genau wie die Erwachsenen derselben Kulturen. Deutlich wurde auch, dass die Kinder ihre Strategie nicht dem orientalischen oder okzidentalischen Äusseren der gezeigten Gesichter anpassen. Die Studie zeigt auf eindrückliche Weise, wie wichtig der Einfluss der sozialen Umgebung ist hinsichtlich der Aneignung und Erkennung von Gesichtsausdrücken und Emotionen.

Link zur Studie, publiziert im Current Biology Magazine.