07.01.2015

Schätze des Mittelalters und der Neuzeit: Die älteste digitale Bibliothek der Schweiz wird 10 Jahre alt


E-codices feiert Jubiläum: Die virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz wurde 2005 an der Universität Freiburg gegründet, mit dem Ziel mittelalterliche und neuzeitliche Handschriften der Schweiz im Internet zu publizieren. Die älteste digitale Bibliothek in der Schweiz steht heute für eine qualitativ hochstehende, wissenschaftlich fundierte und technisch innovative Forschungsplattform. Sie zählt zu den renommiertesten Projekten der Digital Humanities und stösst im In- und Ausland auf grosses Interesse.


Zürich, Schweizerisches Nationalmuseum, AG 2760, f. 1r – Zürcher Wappenrolle

Als im Januar 2005 das Pilotprojekt „Digitale Stiftsbibliothek St. Gallen“ ins Leben gerufen wurde, gab es weltweit noch kaum eine Handvoll digitaler Bibliotheken, die einem wissenschaftlichen Anspruch gerecht wurden und wertvolle, von Hand geschriebene Bücher des Mittelalters und der Neuzeit online publizierten. Die Schweiz besass damals noch keine digitale Bibliothek, was die Ausgangslage nochmals erschwerte: Heute selbstverständlich gewordene Standards, wie beispielsweise eine sichere Speicherung der Dateien auf verschiedenen Servern, mussten erst entwickelt werden. Das Unternehmen war für ein akademisches Projekt so neu, dass es für die grossen Stiftungen für Wissenschaftsförderung oder Institutionen für den Schutz von Kulturgütern nicht den gängigen Beurteilungskriterien entsprach – schliesslich wurde der Begriff „Digital Humanities“ erst 2003 geschaffen. Dank einer Starthilfe für die technische Infrastruktur seitens der Universität zu Köln und der finanziellen Unterstützung von mehreren schweizerischen Stiftungen konnte das Pilotprojekt 2005 zusammen mit der Stiftsbibliothek St. Gallen dennoch erfolgreich gestartet werden und zog sogleich grosses öffentliches Interesse auf sich, sowohl im In- wie im Ausland.

E-codices konnte in den letzten zehn Jahren über 6.7 Millionen Schweizer Franken einwerben. Von 2008 bis 2012 wurden mehrere Teilprojekte von einer grossen Stiftung in Amerika gefördert. 20 durch verschiedene Institutionen unterstützte Teilprojekte konnten abgeschlossen werden, vier weitere laufen dank der Unterstützung der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten und des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Das Grossprojekt hat ausserdem zu zwei Firmengründungen geführt: Die eine Firma betreibt zwei Digitalisierungszentren in St. Gallen und Cologny GE; die andere entwickelt Webanwendungen für digitale Bibliotheken und wurde von Rafael Schwemmer gegründet, dem langjährigen Projektmanager und Lead Developer von e-codices.

Die digitale Bibliothek e-codices enthält die schönsten und bedeutendsten Handschriften der Schweiz sowie wertvolle Schätze aus dem Ausland – darunter den weltberühmten Bestand von karolingischen und ottonischen Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen. Alle diese rund 400 vor dem Jahr 1000 entstandenen Codices sind bereits online ediert. Ausserhalb der grossen Bibliotheken lassen sich auch in versteckten Archiven und privaten Sammlungen bedeutsame Quellen aufspüren, die bisher von der Forschung übersehen worden sind. In den letzten zehn Jahren konnten so mehrere hundert bisher unedierte Werke veröffentlicht und damit der weiteren Erforschung zugänglich gemacht werden. Zurzeit sind in der virtuellen Handschriftenbibliothek 51 Bibliotheken mit 1‘233 Handschriften vertreten.

Zukunftspläne

E-codices
wird sich weiter ausdehnen. Es gibt in der Schweiz etwa 7‘500 mittelalterliche Handschriften in öffentlichen, kirchlichen und privaten Bibliotheken und ein Mehrfaches an neuzeitlichen Handschriften. Allein im 2015 sollen weitere 200 Handschriften online gestellt werden. Darunter die weltweit grösste private Sammlung an jüdischen Handschriften der Sammlung René Braginsky in Zürich. Im März startet ausserdem ein neues Teilprojekt, das es Wissenschaftlern aus der ganzen Welt ermöglicht, Handschriften vorzuschlagen, die dann gegen eine wissenschaftliche Gegenleistung digital veröffentlicht werden. Nicht zuletzt soll das Kompetenzzentrum für Schweizer Handschriften und digitale Handschriftenforschung an der Universität Freiburg weiter ausgebaut und erweitert werden mit „Fragmentarium“, einem digitalen Laboratorium für mittelalterliche Fragmentenforschung, an dem sich die wichtigsten Handschriftenbibliotheken der Welt beteiligen werden.

„In zehn Jahren wird sich die Handschriftenforschung weitgehend auf das Internet verlagert haben“, ist Christoph Flüeler, Gründer und Leiter von e-codices und Professor für Historische Hilfswissenschaften und Mittellatein, überzeugt. „Ein weltweites Netz wird es ermöglichen, den grössten Teil der mittelalterlichen und neuzeitlichen Handschriften online zu erforschen. Die grosse Sichtbarkeit und die ansprechende Präsentation werden nicht zuletzt dazu beitragen, dass Handschriften zunehmend auch von einem grossen Publikum geschätzt werden.“


Kontakte:


Christoph Flüeler, Leiter e-codices und Professor am Mediävistischen Institut der Universität Freiburg, 026 300 79 16, christophe.flueler@unifr.ch

Ramona Fritschi, Projektmanagement e-codices, Mediävistisches Institut der Universität Freiburg, 026 300 71 57, ramona.fritschi@unifr.ch

Informationen:
www.e-codices.unifr.ch