Leo der Grosse († 461) - Sämtliche Sermonen (Sermones) Sermo LII-LXX: Neunzehn Passionspredigten. Sermo LXIX. 18. Predigt über das Leiden des Herrn.
2. Erkennet, Geliebteste, daß uns in dem verlesenen Evangelium über das ruhmreiche Leiden Christi1 . das ihr voll Aufmerksamkeit vernommen habt, alle Geheimnisse der göttlichen Offenbarung erschlossen sind! Freuet euch, daß uns in diesem hochheiligen Leidensgang des Herrn alles enthüllt wird, was der Schatten des Alten Testamentes unter den Aussprüchen der Propheten wie mit einem Schleier umgab! Sind doch deshalb die mannigfachen Opfer2 und die verschiedenen Reinigungen jetzt zu Ende, hat doch deshalb das Gebot der Beschneidung3 , die Unterscheidung der Speisen4 , die Heiligung des Sabbats5 und das Schlachten des Osterlammes6 nunmehr aufgehört, "weil das Gesetz durch Moses gegeben worden ist, die Gnade und die Wahrheit aber durch Jesus Christus geworden ist"7 . Der Zweck der Vorbilder war ihre kommende Verwirklichung. Und mit dem Eintreten der Prophezeiungen hatten jene Vorzeichen ihre Aufgabe erfüllt. In der Weise aber hat Gott die Versöhnung des Menschengeschlechtes geordnet, daß von der Erlösung, die uns Chriustus bringt, bei gleicher Rechtfertigung keine Zeit ausgeschlossen blieb. Die Verzögerung sollte nur dazu dienen, daß man ohne Bedenken dem seine Verehrung erweist, woran man schon vor der Verwirklichung geglaubt hatte. Und da das Verdienst des Glaubens darauf beruht, daß man für wahr hält, was man nicht sehen kann8 , zeigte sich der göttliche Meister gegen uns besonders gütig indem er uns in eine Zeit versetzte, wo uns zur leichteren Erkenntnis weit mehr Propheten und Zeugen zu Gebote stehen, als denen, die früher lebten.
1: vgl.Joh 18,19 u.a. 2: vgl.Lev 1 ff. 3: vgl. Gen 17,10ff. 4: vgl.Lev 11,11 ff 5: vgl.Ex 20,10 f. 6: vgl.Ex 12,3.f. 7: vgl.Joh 1,17 8: vgl.Hebr 11,1
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