Leo der Grosse († 461) - Sämtliche Sermonen (Sermones) Sermo XXXIX-L: Zwölf Predigten auf Quadragesima. Sermo XLVII. 9. Predigt auf die vierzigtägige Fastenzeit.
3. Es möge genügen, Geliebteste, gelegentlich des Osterfestes, worauf wir uns durch ein reines Herz vorbereiten sollen, diese auf die Menschwerdung des Wortes sich beziehenden Lehren in aller Kürze erwähnt zu haben, da ihr schon öfters, wie ihr euch erinnert, darüber aufgeklärt worden seid. Nun wende ich mich, fromme Zuhörer, zu dem, was die Zeit erheischt, nämlich dazu, daß ihr das heilige und heilsame Fasten durch Werke der Nächstenliebe ziert. Da man vor allem darnach streben soll, Nachsicht für seine Vergehen zu erhalten, dürft ihr mit Sicherheit auf Gottes Barmherzigkeit rechnen, wenn auch ihr selbst bei eueren Untergebenen jede Beleidigung verzeiht. Geziemt es sich doch, daß Gottes Völker in Frieden und Eintracht zu diesem so bedeutungsvollen Feste erscheinen. Deshalb sollen auch die strengen Strafen, die in diesen Tagen sogar bei den öffentlichen Gerichten gelindert werden, erst recht in den Herzen der Christen Milderung finden! Muß ja das Streben des Frommen vor allem dahin gehen, daß keiner Kälte leidet, keiner hungert, daß niemand durch Not zugrunde geht, niemand sich abhärmt, daß keiner in Banden liegt, und keiner im Kerker eingesperrt bleibt1 . Mögen auch die Gründe für unser Zürnen noch so schwerwiegend sein, so muß doch der Mensch gegenüber dem Menschen nicht so sehr die Größe der Schuld als vielmehr die Gemeinschaftlichkeit der Natur in Anschlag bringen, um sich durch sein Gericht, das er über den Nächsten hält, die Barmherzigkeit des göttlichen Richters zu erwerben. "Selig sind die Barmherzigen, denn ihrer wird sich Gott erbarmen"2 , er, der lebt und waltet in Ewigkeit! Amen.
1: vgl.Mt 25,42 ff. 2: Mt 5,7
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