Cassian († 430/35) - Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern (Collationes patrum) Zehnte Unterredung, welche die zweite des Abtes Isaak ist, über das Gebet.
[S. 586] 7. Worin Ziel und Vollendung unserer Gebete bestehe. Dann wohl wird vollkommen in uns jenes Gebet des Herrn sich erfüllen, in welchem er für seine Jünger zum Vater betete mit den Worten: „Möge die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sein und sie in uns.“ Und wieder: „Mögen sie alle Eins sein, auf daß, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so auch sie in uns Eins seien;“ — wann jene vollkommene Liebe Gottes, mit der er uns zuerst liebte, auch in unsere Herzensneigung übergegangen ist und so dieß Gebet des Herrn sich erfüllt hat, das, wie wir glauben, durchaus nicht vergeblich gemacht werden kann. Das wird nun so sein, wenn all unser Lieben und Sehnen, alles Streben und Suchen, alles Denken und Schauen, Reden und Hoffen Gott sein wird und jene Einheit, die nur der Vater mit dem Sohne und der Sohn mit dem Vater hat, in unsern Sinn und Geist gegossen ist, daß nemlich, wie Jener uns mit aufrichtiger, reiner und unvergänglicher Liebe liebt, so auch wir ihm in ewiger und unzertrennlicher Liebe geeint werden, so mit ihm verbunden, daß, was immer wir hoffen, einsehen und reden, Gott sein wird. So, sage ich, werden wir zu jenem obengenannten Ziele kommen, welches ebenderselbe Herr in seinem Gebete für uns erfüllt wünscht: „Daß Alle Eins seien, wie wir Eins sind; ich in ihnen und du in mir, so daß auch sie ganz Eins seien;“ und wieder: „Vater, ich will, daß Diejenigen, welche du mir gegeben hast, auch dort bei mir seien, wo ich bin.“ Das muß also die Absicht des Einsamen, das seine ganze Meinung sein, daß er ein Bild des künftigen seligen Zustandes in diesem Leibesleben besitze und gleichsam einen Theil jenes himmlischen, glorreichen Wandels auf dieser Erde zum Unterpfand vorauszukosten beginne. Das, sage ich, ist das Ziel der ganzen Vollkommenheit, daß der von allem fleischlichen Wesen befreite Geist täglich so sehr zum Geistigen erhoben werde, daß [S. 587] all’ sein Wandel, jede Bewegung seines Herzens nur ein einziges und beständiges Gebet werde.
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