Hilarius von Poitiers († 367) - Zwölf Bücher über die Dreieinigkeit (De Trinitate) Neuntes Buch
45. Die Wesensgleichheit von Vater und Sohn. Wenn die Worte (Jesu) nicht auf die Behauptung (der Juden) abgestellt sind, dann tun wir den Worten (Christi) mit der Überheblichkeit eigenbrödlerischer und ungläubiger Erkenntnis Gewalt an. Wenn aber die Antwort den Anlässen zu dem heftigen Zornausbruch entgegengehalten ist, dann spricht eher unser Glaube die gemeinte Lehre aus, als daß ehrfurchtslose Verkehrtheit den Irrtum ihres Falschglaubens verteidigen kann. Wir wollen also danach fragen, ob diese Antwort eigens auf die Sabbatarbeit abgestellt sei: „Der Sohn vermag nicht von sich aus irgend etwas zu tun, es sei denn, daß er es den Vater habe tun sehen.” Vorher sagt er nämlich: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke.”1 Wenn er in der Überlegenheit des ihm eignen väterlichen Wesens sein Tun durch das Tun des Vaters vollzieht, der bis jetzt am Sabbat wirkt, dann trifft den Sohn der Tatvollzug nicht; denn in ihm erweist sich nur der Ursprung des väterlichen Wirkens. Dieses „Er kann nicht” hat er nämlich nicht auf seine Schwachheit bezogen, sondern auf seinen Ursprung; denn von sich aus kann er nicht (handeln), es sei denn, er habe (es) gesehen. Denn nicht das [S. 120] Gesehenhaben teilt die Kraft mit; und weil das Sehen die Kraft nicht mitteilt, so schwächt es nicht das Wesen, ohne Sehen nichts zu vermögen, sondern erweist auf Grund des Sehens den Ursprung. Die Wendung nämlich: „wenn er nicht sieht” bezeigt die Bewußtheit des Sehens, wie er auch zu den Aposteln sagt: „Seht, ich sage euch, erhebt eure Augen und seht hin auf die Umgegend, daß sie weiß ist zur Ernte!”2 Um nicht die Meinung der Sabbatverletzung zu erwecken, spricht der Herr in dem Wissen um das ihm eigne väterliche Wesen, das in seinem (Christi) Wirken wirkt: „Der Sohn vermag nicht von sich aus irgend etwas zu tun, es sei denn, daß er es den Vater habe tun sehen.”3 Er wollte erweisen, daß er sein Tun aus dem Wissen des in ihm wirkenden Wesens vollziehe, da in seinem (Christi) Tun am Sabbat bis jetzt der Vater am Sabbat wirkt. Gegen die Erregung des zweiten Vorwurfes4 hat er den Inhalt des folgenden Wortes gerichtet: „Alles nämlich, was der Vater tut, das tut auch der Sohn in gleicher Weise.”5 Mach dem Gottessohn Schwachheit zum Vorwurf, nimm auch die Wesensgleichheit weg, wenn eben nicht alles Tun des Vaters der Sohn in genau gleicher Weise tut; wenn irgendein Unterschied der väterlichen Kraft und Wirksamkeit zulässig ist; wenn eben nicht Gleichheit der Ehre gefordert wird, was (nur) der Gleichheit der Kraft und des Wesens zukommt! Er selbst sagt nämlich bald darauf: „damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater nicht, der jenen gesandt hat.”6 Reiß nur die Gleichheit in der Ehrerweisung auseinander, die nicht ungleich ist; schwäche nur das Wesen in der Betätigung derselben Kraft! 1: Joh. 5, 17. 2: Joh. 4, 35. 3: Joh. 5, 19. 4: Christi Anspruch auf wahre Gottessohnschaft. 5: Joh. 5, 19. 6: Joh. 5, 23.
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